DACHVERBAND OSTEOLOGIE

Neue Leitlinie Osteoporose 2023 vorgestellt

Abb.: Evidenzbewertung für spezifische Osteoporose-Therapien

Abb.: Evidenzbewertung für spezifische Osteoporose-Therapien

Die Osteoporose zählt zu den häufigsten Begleiterscheinungen entzündlich-rheumatischer Erkrankungen (ERE). Sowohl das Entzündungsgeschehen selbst als auch der durch die rheumatischen Beschwerden verursachte Bewegungsmangel können Osteoporose fördern. Ein bedeutender Risikofaktor kann zudem die Einnahme von Glukokortikoiden (GK) sein. In der Osteoporose-Leitlinie des Dachverbands Osteologie (DVO) werden diese Besonderheiten nun deutlich stärker berücksichtigt. Die Leitlinie fasst die aktuelle Evidenz zu Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Osteoporose zusammen und wurde im Vergleich zur zuvor gültigen Fassung von 2017 völlig neu überarbeitet. Die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie e. V. (DGRh) begrüßt die Neufassung, an der sie mitgearbeitet hat.

Aufgrund der umfangreichen Überarbeitung der S3-Leitlinie – die Langfassung umfasst inklusive Literatur immerhin 420 Seiten – empfiehlt sich eine gründliche Lektüre. Alles in Allem wurden unter der Koordination von Dr. Friederike Thomasius, Frankfurt/M., zugleich Vorsitzende der DVO-Leitlinienkommission, 100 Empfehlungen für postmenopausale Frauen und Männer ab dem 50. Lebensjahr ausgesprochen, 79 hiervon auf Evidenzbasis.

Überarbeiteter Algorithmus zur Berechnung des individuellen Frakturrisikos

Typische Frakturen, die auf osteoporotische Veränderungen der Knochenmasse zurückgehen, sind der Oberschenkelhalsbruch und das Einbrechen von Wirbelkörpern. Beide Ereignisse betreffen besonders Frauen nach der Menopause, und beide sind im Zehnjahreszeitraum zwischen 2009 und 2019 deutlich häufiger geworden. Den aktualisierten Angaben in der Leitlinie zufolge erleiden jedes Jahr knapp 50 von 100.000 Frauen zwischen 50 und 59 Jahren Frakturen des Oberschenkels. Mit jeder Lebensdekade steigt die Inzidenz deutlich an – bis hin zu rund 4.400 von 100.000 bei den Über-90-Jährigen. Dabei ist das Frakturrisiko jedoch individuell äußerst unterschiedlich und nicht nur vom Alter abhängig.

Eine der wichtigsten Neuerungen in der Leitlinie betrifft den Algorithmus, nach dem das individuelle Frakturrisiko berechnet wird, kommentiert Prof. Dr. Peter M. Kern, Fulda, in einer Pressemitteilung der DGRh. Der Algorithmus wurde auf 101 evidenzbasierte Risikofaktoren erweitert und berücksichtige nun auch ERE wie rheumatoide Arthritis (RA), systemischen Lupus erythematodes (SLE) und Spondyloarthritiden (SpA). Auch wurde die Gewichtung der einzelnen Risikofaktoren komplett überarbeitet und neuen Erkenntnissen angepasst. Diese umfassende Aufarbeitung der Risikofaktoren ist gleichzeitig Grundlage für die Entwicklung eines Risikorechners für das vertebrale und Schenkelhalsfrakturrisiko. Neu aufgenommene Risikofaktoren für insgesamt 33 priorisierte Risikofaktoren, die auch in den Risikorechner eingehen, sind Humerus- und Beckenfrakturen, chronische Hyponatriämie, Herzinsuffizienz, Niereninsuffizienz, Multiple Sklerose und ein Timed up and Go-Test >12 Sek. Neue, aber nicht in der Risikokalkulation des Risikorechners berücksichtigte Risikofaktoren, die hier als Risikoindikatoren bezeichnet werden (und in der Indikationsstellung für eine Basisdiagnostik berücksichtigt werden), sind SLE, Immobilität, Frailty, HIV und bariatrische Operation. Neu ist die Beachtung von Risikofaktoren, die das imminente Frakturrisiko erhöhen: Wirbelkörper- bzw. Schenkelhalsfraktur, ≥2 Stürze in den zurückliegenden 12 Monaten, >5 mg Prednisolon für >3 Monate in den letzten 12 Monaten.

Neue Kriterien für Basisuntersuchung und Anamnese

Eine Basisuntersuchung auf Osteoporose wird nun explizit auch dann empfohlen, wenn eine Therapie mit GK in einer Dosierung von ≥7,5 mg/Tag für einen Zeitraum von ≥3 Monaten geplant ist. Diese Diagnostik sollte nun auch Männern und Frauen vor dem 50. Lebensjahr angeboten werden, wenn sie an den oben genannten ERE leiden, betonte PD Dr. Björn Bühring, Wuppertal, der ebenfalls als DGRh-Experte an der Erarbeitung der überarbeiteten interdisziplinären Leitlinie beteiligt war. Bei rheumatologischen Patientinnen und Patienten über 70 Jahren sollte zudem jährlich nach Stürzen oder sturzbedingten Frakturen gefragt und ein Test zur Erfassung der Mobilität und des Sturzrisikos gemacht werden. In Kapitel Basisdiagnostik wird die Messung der Knochendichte am Schenkelhals (Gesamt-Hüfte und Femurhals) beidseits empfohlen, in der radiologischen Diagnostik von Wirbelfrakturen werden adäquate bildgebende Verfahren empfohlen, zu denen auch die DXA plus VFA (vertebral fracture assessment) zählt. Die Serum-Eiweißelektrophorese wird als fester Bestandteil des Basislabors aufgenommen, die Bestimmung von CRP und BSG werden im Basislabor empfohlen.

Medikamentöse Therapie: angepasste Empfehlungen, neue Wirkstoffe

Angepasst wurden auch die Empfehlungen dazu, ab welchem Frakturrisiko eine medikamentöse Therapie begonnen oder zumindest empfohlen werden sollte. Unter anderem wurde dabei nun stärker berücksichtigt, dass das Risiko für eine Schenkelhals- oder Wirbelkörperfraktur in den ersten Jahren nach einer bereits stattgehabten Fraktur besonders hoch ist, so Bühring. Weil auch die Einnahme von GK stärker gewichtet werde, sei es absehbar, dass gerade Rheuma-Patientinnen und -Patienten nun deutlich öfter als bisher eine medikamentöse Osteoporose-Therapie erhalten oder angeboten bekommen.

Das Frakturrisiko wird über 3 Jahre bestimmt, nicht wie bis zuletzt über 10 Jahre. Im Einzelnen wurde folgende neue Schwellenwerte als Indikation für die Einleitung einer medikamentösen Therapie definiert: ab einem Frakturrisiko von 3-5 % (innerhalb von 3 Jahren) sollte eine Therapie in Betracht gezogen werden, ab 5 % soll eine Therapie empfohlen werden und ab 10 % soll eine Therapie mit osteoanabol wirksamen Substanzen empfohlen werden.

Auch die Handreichungen dazu, wie diese Therapie gestaltet werden sollte, wurden grundlegend überarbeitet. Bei der Prophylaxe und Therapie der Osteoporose werden antiresorptive Wirkstoffe wie Bisphosphonate oder osteoanabole Substanzen eingesetzt. Hier gibt es neue Wirkstoffe, die nun berücksichtigt wurden, und auch zu den altbekannten Wirkstoffen liegt neue Evidenz vor, so Kern. Auf dieser Basis wurden differenziertere Therapieregime entwickelt, die sich stärker nach den individuellen Patientencharakteristika richten. Im Kapitel medikamentöse Therapie werden die verschiedenen Therapieformen im Sinne einer am Frakturrisiko ausgerichteten Differenzialtherapie bewertet. Romosozumab wird als zweite osteoanabole Substanz dreifach A-klassifiziert zur Frakturrisikosenkung für vertebrale, non-vertebrale und proximale Femurfrakturen aufgenommen (Abb.), Teriparatid wurde aufgewertet. Neue Empfehlungen zur osteoanabolen Therapie inklusive „Osteoanabol FIRST“, Kombinationstherapie, osteoprotektiven Therapie bei antihormoneller Therapie, zur Anschlusstherapie nach Beendigung einer Therapie mit reversiblem Wirkmechanismus, zur Verlaufsbeurteilung mittels DXA und Knochenumbauparametern werden ausgesprochen.

Bei Osteoporose-Patientinnen und -Patienten mit hohem Frakturrisiko unter geplanter bzw. laufender GK-Therapie mit >5 mg Prednisolon/Tag für >3 Monate sollte einer osteoanabolen Therapie mit Teriparatid gegenüber einer oralen Bisphosphonat-Therapie der Vorzug gegeben werden. Bei einem absoluten Frakturrisiko oberhalb der osteoanabolen Schwelle (ab 10 %/3 Jahre gemäß DVO-Risikorechner) soll eine osteoanabol wirksame Substanz (Teriparatid oder Romosozumab) empfohlen werden. Bei einem absoluten Frakturrisiko oberhalb der Therapieschwelle und unterhalb der osteoanabolen Schwelle (zwischen 5 und 10 %/3 Jahre) kann der Einsatz von Teriparatid oder Romosozumab erwogen werden. Für die spezifische Therapie der GK-assoziierten Osteoporose (GIOP) sollen hierzu zugelassene Präparate verwendet werden.

Osteoporose bei jeder Rheumatherapie von Beginn an mitdenken

Aus Sicht der DGRh stellt die Aktualisierung einen großen Fortschritt für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte, sowie für ihre rheumatologischen Patienten dar. Die Leitlinie stützt sich auf ein hohes Evidenzniveau und bietet somit eine wertvolle, wissenschaftlich fundierte Entscheidungshilfe, betont DGRh-Präsident Prof. Dr. Christof Specker, Düsseldorf. Die neuen Handlungsempfehlungen ermöglichten es, den Blick wesentlich früher als bisher auf mögliche osteoporotische Veränderungen zu richten. Das Ziel muss sein, dass die Osteoporose bei jeder Rheumatherapie von Anfang an mitgedacht wird, so Specker.       

Quellen:
Pressemitteilung der DGRh, 5. Oktober 2023

Dachverband Osteologie e.V. et al., S3-Leitlinie Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Osteoporose bei postmenopausalen Frauen und bei Männern ab dem 50. Lebensjahr,
https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/183-001