INTERLEUKIN-1 VERMITTELTE AUTOIMMUNERKRANKUNGEN

EULAR/ACR-Guidance 2021 zu Diagnostik, Management und Monitoring

Eine internationale, multidisziplinäre Task Force um Erkan Demirkaya, London (Kanada), entwickelte und formulierte für die Fachgesellschaften EULAR und ACR „points to consider“ für die Diagnose, das Management und die Verlaufsbeobachtung von Patienten mit vier Interleukin (IL)-1 vermittelten Autoimmunerkrankungen, den Cryopyrin-assoziierten periodischen Syndromen (CAPS), TNF-Rezeptor-1-assoziierten periodischen Syndromen (TRAPS), Mevalonatkinase-Defizienz (MKD) und Defizienz des Interleukin 1-Rezeptor-Antagonisten (DIRA), die mit Beteiligung mehrerer Organe alle in der frühen Kindheit auftreten und unbehandelt mit einer schlechten Prognose verbunden sind. Diagnostik und Management dieser Erkrankungen sind oft schwierig, die Verfügbarkeit zugelassener Anti-IL-1-Therapien brachte aber große Fortschritte. 

Auf Basis eines systematischen Literaturreviews und Expertenabstimmungen wurden letztlich fünf übergreifende Prinzipien, 14 Statements zur Diagnose, 10 zur Therapie und neun zur Langzeit-Verlaufsbeobachtung von CAPS, TRAPS, MKD und DIRA formuliert.

Übergreifende Prinzipien

Erstens wird festgehalten, dass sich Patienten mit CAPS, TRAPS, MKD und DIRA mit chronischen oder intermittierenden Schüben von systemischer und Organentzündung präsentieren, die unbehandelt in progressiven Organschäden, Morbidität und erhöhter Mortalität resultieren. Zur diagnostischen Evaluation und Betreuung dieser Patienten (inkl. Evaluation der systemischen Entzündung, Krankheits-assoziierter Komplikationen und Langezeitbehandlung und -management) wird ein multidisziplinäres Team benötigt. Zweitens sollten Patienten mit chronischen oder episodischen Schüben einer unklaren systemischen Entzündung (inkl. erhöhtem CRP, ESR) und klinischem Verdacht auf CAPS, TRAPS, MKD und DIRA sofort ein diagnostisches Work-up erhalten einschließlich genetischer Testung, klinischer Evaluation mit Fokus auf das Ausmaß der Organbeteiligung und Screening auf krankheits- und therapieassoziierte Komorbiditäten. Drittens wird eine genetische Diagnose (mit modernen Sequenzierungsverfahren!) von CAPS, TRAPS, MKD und DIRA benötigt, um die Einleitung zielgerichteter Therapien, eine genetische Beratung und Einschätzung der Prognose zu erleichtern.

Ziel der Therapie ist viertens die Kontrolle klinischer Zeichen und Symptome sowie Normalisierung von Biomarkern der systemischen Entzündung gemäß einem Treat-to-target-Ansatz. Fünftens sollten sich die Ziele des Langzeit-Monitorings auf eine adäquate Therapie angepasst an die Bedürfnisse der Kinder und die Prävention von systemischen und organspezifischen entzündlichen Manifestationen, der Förderung von Fähigkeiten des Selbst-Managements und medizinischen Entscheidungsfindung sowie die Initiierung von Transitions-Programmen beim Übergang in die Erwachsenenversorgung fokussieren.  

Diagnose: Genetisches und klinisches Work-up

Die ersten sechs der 14 Aussagen beziehen sich auf das genetische Work-up. So sollen Patienten mit klinischen Symptomen von CAPS, TRAPS, MKD und DIRA, bei denen keine der krankheitsauslösenden Mutationen (s. u.) nachweisbar ist, für das weitere Work-up und die Behandlung an spezialisierte bzw. Forschungszentren überwiesen werden. Für eine genetische Diagnose soll möglichst eine moderne Gensequenzierungsplattform genutzt werden. Bei klinischem Verdacht oder zur Validierung der Gentestung sollte nach Mutationen in den bekannten „Zielgenen“ bei CAPS (NLRP3), TRAPS (TNFRSF1A), MKD (MVK) und DIRA (IL1RN) gefahndet werden. Bei CAPS und TRAPS kann eine „tiefe Sequenzierung“ erforderlich sein, um einige somatische Mutationen zu identifizieren, die mit den Standardverfahren nicht detektiert werden können. Für weitere spezifische Erörterungen zum Vorgehen bei CAPS, TRAPS und DIRA sei auf die Originalarbeit verwiesen.

Das klinische Work-up der systemischen Entzündung sollte CRP, ESR und ein großes Differentialblutbild einschließen, falls möglich sollten auch SAA und S100 bestimmt werden. Bei Patienten mit langzeitig unbehandelter systemischer Entzündung sollte ein Screening auf Amyloidose erfolgen. Bei CAPS sollten folgende klinische Merkmale ein diagnostisches Work-up auslösen: Urtikaria-artiger Hautausschlag, Kälte/Stress-getriggerte Episoden, sensorineuraler Hörverlust, chronsiche aseptische Meningitis und skelettale Abnormitäten. Initial sollte das Work-up auch ein Audiogramm und eine ophthalmologische Untersuchung umfassen. Wenn klinisch indiziert, sollten eine Lumbalpunktion und ein Schädel-MRT durchgeführt werden. Bei TRAPS sollten folgende klinische Merkmale ein diagnostisches Work-up auslösen: langanhaltende Fieberepisoden, Wanderröte, periorbitales Ödem, Myalgie und eine positive Familienanamnese. Bei MKD wiederum sollten folgende klinische Merkmale zur Erwägung eines diagnostischen Work-up führen: Symptombeginn in Alter <1 Jahr, gastrointestinale Symptome, schmerzhafte Lymphknoten, aphthöse Stomatitis, eine Vorgeschichte von Triggern für periodische Fieberanfälle (z. B. nach Impfung) und ein makulopapulöser Hautausschlag. Bei Patienten mit unklaren/undifferenzierten entzündlichen Erkrankungen sollte ferner der Nachweis von Mevalonat im Urin ein diagnostisches Work-up für MKD auslösen.

Bei DIRA legen folgende klinische Merkmale, speziell wenn sie sporadisch auftreten, ein diagnostisches Work-up nahe: Psoriasis pustulosa-artige Hautausschläge, Osteomyelitis (z. B. CRMO-artige Erkrankung), Abwesenheit von bakterieller Osteomyelitis und Nagelveränderungen (z. B. Onychomadese). Bei Patienten mit Verdacht auf DIRA sollte eine Röntgenuntersuchung (Thorax, obere und untere Gliedmaßen) und/oder MRT/CT (Wirbelsäule) dazugehören, um das Ausmaß der entzündlichen Knochenbeteiligung zu bestimmen. Ein dermatologische Konsultation und Hautbiopsie sollten erwogen werden bei einer neutrophilen Dermatose mit Exozytose von Neutrophilen und subkornealen Pusteln, was stark auf DIRA schließen lässt.

Therapie von CAPS, TRAPS, MKD und DIRA

Präferierte Therapien sind IL-1-Inhibitoren, ein entsprechender Therapieversuch kann bei starkem klinischem Verdacht auf eine Diagnose von CAPS, TRAPS, MKD oder DIRA gestartet werden. Im Kontext von viralen Infektionen inkl. COVID-19 sollte eine Anti-IL-1-Therapie nicht geändert werden, ein Stoppen könnte zu einem Rebound-Effekt führen.

Bei CAPS wird eine Therapie mit IL-1-Inhibitoren als Standardversorgung empfohlen und umfasst derzeit (Zulassungsstatus beachten) Anakinra, Canakinumab und Rilonacept. Im Falle einer ZNS-Beteiligung könnte Anakinra die effektivste Anti-IL-1-Therapie darstellen. Eine höhere Dosierung oder häufigere Gabe von IL-1-Inhibitoren kann erforderlich sein, um die Krankheitsaktivität in schwereren Fällen und/oder bei jüngeren Kindern zu kontrollieren und so Komplikationen zu verhüten. Bei milderen Verläufen kann eine niedrigere Dosierung angemessen sein. Im Falle von TRAPS haben sich IL-1-Inhibitoren im Vergleich zu sowohl csDMARDs als auch anderen bDMARDs als effektiver für das Erreichen einer Remission und in der Prävention von Langzeitkomplikationen erwiesen und werden daher primär empfohlen. Bei Kindern mit MKD wird grundsätzlich eine Anti-IL-1-Therapie benötigt, bei Patienten ohne chronische systemische Entzündung kann die Gabe von IL-1-Inhibitoren nur bei Bedarf (zu Beginn eines Schubs) versucht werden. Bei Ineffektivität von IL-1-Inhibitoren sollten danach TNFα-Inhibitoren erwogen werden. Glukokortikoide (GK) bei Bedarf können effektiv in der Therapie akuter Schübe sein, ein häufiger oder langfristiger Gebrauch wird hingegen durch Nebenwirkungen limitiert. Bei Patienten mit DIRA wird eine Therapie mit Medikamenten (Anakinra, Rilonacept) empfohlen, die IL-1α und IL-1b blockieren. Beide bewiesen ihren Nutzen in der Kontrolle von Krankheitsschüben und Prävention von Langzeitkomplikationen.

Verlaufsbeobachtung bei CAPS, TRAPS, MKD und DIRA

Die Krankheitsaktivität und -last sollten in Abhängigkeit von der Schwere der Erkrankung regelmäßig erfasst werden, was häufig ein multidisziplinäres Team erfordert. Dabei kann die Symptomkontrolle mittels validierter Tools erfolgen, die krankheitsspezifische Symptome, PROs, Lebensqualität und krankheitsbedingt verpasste Schul- oder Arbeitstage erfassen. Die Häufigkeit dieser Evaluationen sollte individuell anhand der Krankheitsschwere und den klinischen Bedürfnissen festgelegt werden. Bei jeder Visite sollten das Wachstum und die Entwicklung der Kinder erfasst werden. Die systemische Entzündung sollte durch die Überwachung von Biomarkern inkl. Neutrophilen im peripheren Blut, CRP und ESR (sowie ggf. SAA und S100) nachverfolgt werden. Die systemische Entzündung kann für die Entwicklung  einer Amyloidose prädisponieren, die Patienten sollten daraufhin untersucht werden (über die Erfassung von Proteinurie und Mikroalbuminurie). Ärzte sollten sich des erhöhten Infektionsrisikos (inkl. Atemwegsinfektionen mit Streptococcus pneumonia und Hautinfektionen durch Staphylokokken) bewusst sein. Patienten sollten eine Immunisierung, insbesondere mit Lebendimpfstoffen (je nach Zulassungsstatus), möglichst vor dem Beginn einer Anti-IL-1-Therapie erhalten.

Spezifisch für CAPS wird ein Monitoring von Organschäden basierend auf den Krankheitsmanifestationen empfohlen, was die Überwachung von Hörverlusten, Augenerkrankungen, aseptischer Meningitis, ZNS- und Knochenerkrankungen einschließt. CAPS-Patienten mit einer ZNS- oder Knochenbeteiligung sollten ferner auf Wachstumsstörungen, die Entwicklung von Knochendeformitäten und Beinlängendifferenzen untersucht werden. Bei DIRA wird darauf hingewiesen, dass die Normalisierung von Akute-Phase-Reaktanten und Abwesenheit von entzündlichen Haut- und Knochenbefunden erforderlich ist, um die adäquate Dosierung einer Anti-IL-1-Therapie festzulegen und langfristig die Krankheitsaktivität zu verfolgen.        

Quellen:
Ann Rheum Dis 2022; doi: 10.1136/annrheumdis-2021-221801
Arthritis Rheumatol 2022; doi: 10.1002/art.42139