AXIALE SPONDYLOARTHRITIS

Aktualisierte deutsche S3-Leitlinie erschienen

Unter der Federführung von PD Dr. Uta Kiltz und Prof. Dr. Jürgen Braun, Herne, entwickelte die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) in Kooperation mit weiteren Fachgesellschaften ein Update der S3-Leitlinie „Axiale Spondyloarthritis inklusive Morbus Bechterew und Frühformen“, die umfassend die evidenzbasierte Diagnostik und Therapie der axialen Spondyloarthritis (SpA) darstellt, mit dem Ziel, durch eine frühere Diagnosestellung rascher eine adäquate Therapie zu sichern, um strukturelle Läsionen zu vermeiden oder zu verzögern. Durch neue epidemiologische Daten sowie neue Therapieoptionen hatte sich die Notwendigkeit eines Updates der Fassung der Leitlinie von 2013 zwingend ergeben.

Die inter- bzw. multidisziplinäre Leitlinie richtet sich ausdrücklich sowohl an Rheumatologen als auch andere Fach- aber auch Hausärzte und Angehörige nichtärztlicher Berufsgruppen, die an der Versorgung der Patienten mit axialer SpA in allen Sektoren beteiligt sind. Zugleich richtet sie sich in Form einer allgemeinverständlichen Fassung auch an Angehörigen von und Patienten mit axialer SpA. Auch wenn sich viele Empfehlungen nicht grundsätzlich von der aktuellen EULAR-Leitlinie unterscheiden, sollen diese hier doch ausführlich dargelegt werden.


Grundsätzliche Behandlungsprinzipien

Vorangestellt wird eine Präambel mit sechs „übergreifenden Prinzipien“: Unter einer axialen SpA versteht man eine entzündliche Wirbelsäulenerkrankung aus dem rheumatischen Formenkreis, die mit verschiedenen muskuloskelettalen und extraskelettalen Manifestationen vergesellschaftet sein kann. (1) Sie ist eine potenziell schwerwiegende Erkrankung mit unterschiedlichen Krankheitserscheinungen und -verläufen, welche vor allem auch unter Berücksichtigung von extraartikulären Manifestationen wie Psoriasis, Uveitis und CED und Komorbiditäten (z. B. kardiovaskuläre Erkrankungen) ein koordiniertes multidisziplinäres Vorgehen erfordert. (2) Die Koordination der Versorgung sowie die Zuständigkeit für Komorbiditäten und deren Risikofaktoren soll zwischen dem Rheumatologen und dem Hausarzt abgesprochen werden. (3) Patienten, die immunsuppressiv behandelt werden, sollen gemäß den STIKO-Empfehlungen geimpft werden. (4) Primäres Ziel der Behandlung von Patienten mit axialer SpA ist die Optimierung der Lebensqualität durch das Erreichen einer weitgehenden Symptomfreiheit, die Reduktion der Entzündung, Verhinderung von strukturellen Schäden und die Aufrechterhaltung bzw. Normalisierung von Funktion, Aktivität und sozialer Partizipation einschließlich der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit. (5) Die Therapie sollte auf die beste Betreuung ausgerichtet sein und auf der Grundlage einer partizipativen Entscheidungsfindung zwischen Patient und behandelndem Arzt erfolgen. (6)


Erfassung der klinischen Symptomatik

Fünf Empfehlungen werden zur klinischen Symptomatik ausgesprochen: Bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen (≥12 Wochen) sollten die Charakteristika des entzündlichen Rückenschmerzes erfragt werden (Morgensteifigkeit >30 Min., Aufwachen in 2. Nachthälfte, Besserung durch Bewegung, keine Verbesserung durch Ruhe, schleichender Beginn, Alter bei Beginn ≤45 Jahre). Hierbei ist zu beachten, dass nur ca. 75 % der Patienten mit SpA diese typischen Charakteristika aufweisen. (1) Bei einer raschen Verschlimmerung oder Veränderung der Schmerzsymptomatik der Wirbelsäule (WS) sollte neben einer Entzündung auch eine Fraktur (auch nach geringfügigem Trauma) als mögliche Ursache in Betracht gezogen werden. Eine entsprechende Diagnostik inklusive Bildgebung (Röntgen/CT/MRT) sollte zeitnah veranlasst werden. Bei Wirbelsäulenverletzungen (Frakturen) sollte aufgrund des höheren Instabilitätspotenzials nur in Ausnahmefällen eine konservative der operativen Therapie vorgezogen werden. (2) Bei Patienten mit axialer SpA soll regelmäßig und in Abhängigkeit vom Krankheitsverlauf geprüft werden, ob sich die Wirbelsäulenbeweglichkeit verschlechtert. (3) In der Betreuung von Patienten mit axialer SpA sollen regelmäßig und in Abhängigkeit des Krankheitsverlaufes die Krankheitsaktivität und körperliche Funktionsfähigkeit ggf. auch unter Zuhilfenahme von Fragebögen (BASDAI und BASFI) bzw. Composite Scores (ASDAS) erfasst werden. (4) Extraskelettale Manifestationen und Begleiterkrankungen wie z. B. gastrointestinale und/oder kardiovaskuläre Erkrankungen bzw. deren Risikofaktoren sollten regelmäßig evaluiert und therapiert werden. (5)

Zwei Empfehlungen gibt es zu Klassifikations- und Diagnosekriterien: Die Diagnosestellung einer axialen SpA soll anhand von Anamnese, klinischer Untersuchung, Laborbefunden, Bildgebung und unter Berücksichtigung von Differenzialdiagnosen erfolgen. (1) Die ASAS-Klassifikationskriterien beinhalten wichtige Parameter der axialen SpA, können die oben beschriebene Diagnosefindung aber nicht ersetzen. (2) 

Zwei weitere Empfehlungen befassen sich mit der Erstdiagnose und Überweisungsstrategie: Die axiale SpA ist eine wichtige Differenzialdiagnose bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen, wenn diese vor dem 45. Lebensjahr beginnen. (1) Patienten mit chronischen Rückenschmerzen (≥3 Monate), einem Alter bei Beginn der Rückenschmerzen <45 Jahre und mindestens einem weiteren Parameter, der für eine SpA spricht, sollen zur weiteren Klärung zum Rheumatologen überwiesen werden. Besonders geeignete Parameter sind entzündlicher Rückenschmerz und ein Nachweis des HLA-B27 Allels. (2)


Empfehlungen zur Diagnostik

Bei Patienten mit V. a. axiale SpA sollte eine Bildgebung der Sakroiliakalgelenke (SIG) erfolgen. Abhängig von der Symptomdauer und unter Berücksichtigung von Alter und Geschlecht kann ein konventionelles Röntgen (Beckenübersicht) oder MRT der SIG mit Entzündungssequenz (STIR und/oder T1 nach Kontrastmittelgabe) erfolgen. Insbesondere bei jüngeren Erwachsenen mit kurzer Symptomdauer sollte die MRT bevorzugt werden. (1)

Wenn strukturelle knöcherne Läsionen (Syndesmophyten) an der Wirbelsäule z. B. zur Beurteilung der Prognose erfasst werden sollen, sollte eine Röntgenuntersuchung des betroffenen WS-Abschnitts erfolgen. (2) Ein Röntgen der WS im Krankheitsverlauf sollte nicht routinemäßig, sondern bedarfsorientiert erfolgen. (3) Bei Patienten mit unauffälligem Röntgenbild der SIG und mit starkem Verdacht auf axiale SpA soll ein MRT der SIG mit Entzündungssequenz (STIR und/oder T1 nach Kontrastmittelgabe) durchgeführt werden. (4)

Bei Patienten mit gesicherter axialer SpA und Rückenschmerzen soll beschwerdeorientiert ein MRT des betroffenen Abschnitts des Achsenskeletts mit Entzündungssequenz (STIR, T1, KM) zum Nachweis entzündlicher Veränderungen in der WS durchgeführt werden. (5) Ist bei V. a. eine periphere Enthesitis eine Bildgebung erforderlich, sollten eine Sonografie oder ein MRT der betroffenen Region durchgeführt werden. (6) Zur Diagnosestellung einer axialen SpA sollte die Szintigrafie hingegen nicht eingesetzt werden. (7) Unter strenger Indikation kann zum Nachweis von Fusionen und Erosionen oder zur Differenzialdiagnose ein CT der SIG indiziert sein. (8) Zur Erfassung und Überprüfung der Krankheitsaktivität bei Patienten mit axialer SpA sollten CRP und/oder BSG bestimmt werden. (9) Keine Empfehlungen wurden zur Krankheitsaktivität und Prognose der SpA verabschiedet, dafür ganze 33 zur Therapie, die im Folgenden dargelegt werden.


Empfehlungen zu Therapien

Generelle Aspekte: Das optimale Management für Patienten mit axialer SpA sollte eine Kombination aus nicht-pharmakologischen und pharmakologischen Maßnahmen beinhalten. (1) Die Therapiemöglichkeiten von Patienten mit axialer SpA können auch operative Maßnahmen umfassen. (2) Die Therapie eines Patienten mit axialer SpA sollte immer wieder an den aktuellen Gesundheitszustand, die Auswirkungen der Behandlung und die gemeinsam vorab definierten Ziele angepasst werden. (3) Die Behandlung sollte fortwährend an ein festgelegtes Therapieziel angepasst werden. Dieses wird zwischen Arzt und Patient festgelegt und kann im Krankheitsverlauf adaptiert werden. Dabei liegt für das Erreichen einer Remission/niedrigen Krankheitsaktivität die größte Evidenz vor. (4) Patienten mit axialer SpA sollten zu Beginn und im Verlauf der Erkrankung auf die Wichtigkeit von Sport, Bewegung im Alltag und regelmäßiger Bewegungstherapie hingewiesen und individuell beraten werden. (5)

Physikalische Therapie: Bewegungsübungen, die zu Hause durchgeführt werden, sind zwar effektiv, aber allein nicht immer ausreichend. Angeleitete Bewegungstherapien (als Trocken- oder Wasserübungen), individuell oder als Gruppe, sollten zusätzlich zum häuslichen Bewegungsprogramm verordnet werden. (6) Bewegungstherapien sollten zusätzlich zur medikamentösen Therapie bzw. interventionellen Therapien erfolgen, da sie zu einer weiteren Verbesserung der Beweglichkeit und der Funktionsfähigkeit im Alltag führen. (7) Manuelle Therapie (Mobilisation) kann durchgeführt werden, um eine Verbesserung der Wirbelsäulenbeweglichkeit und verbesserte Körperhaltung zu erreichen. (8) Manipulationen an der WS sollten hingegen nicht durchgeführt werden. (9)

NSAR und Biologika: NSAR inklusive Coxibe sollen bei symptomatischen Patienten mit axialer SpA als Mittel der ersten Wahl eingesetzt werden. (10) Die Dosierung und Therapiedauer der NSAR inklusive Coxibe richtet sich nach der Intensität der Beschwerden des Patienten. (11) Die Effektivität einer Therapie mit NSAR sollte nach 2–4 Wochen beurteilt werden. Weitere Kontrollen sollen individuell vereinbart werden. (12) Wenn ein NSAR nicht gewirkt hat, sollte ein zweites NSAR für weitere 2-4 Wochen versucht werden. (13) Eine kontinuierliche Therapie mit NSAR ist indiziert, solange diese für eine gute Symptomkontrolle erforderlich ist. (14) 

Eine Therapie mit Biologika soll bei Patienten mit persistierend hoher entzündlicher Krankheitsaktivität und unzureichendem Ansprechen auf oder Unverträglichkeit von NSAR begonnen werden. Dabei sind Unterschiede in der Zulassung für TNF-Inhibitoren (TNFi)- und IL-17-Inhibitoren zu beachten. (15) Bei Patienten mit axialer SpA und symptomatischer peripherer Arthritis sollte eine TNFi-Therapie versucht werden, wenn der Patient auf ≥1 lokale Steroidinjektion ungenügend angesprochen hat, und ein angemessener Behandlungsversuch mit einem csDMARD, bevorzugt Sulfasalazin, keine Wirkung gezeigt hat. (16) Bei Patienten mit extra-muskuloskelettalen Manifestationen, insbesondere Uveitis, CED oder Psoriasis, sollte die unterschiedliche Effektivität der verschiedenen Biologika auf diese Manifestationen beachtet werden. (17) Bei Patienten mit verbleibenden muskuloskelettalen Symptomen unter Biologika kann eine zusätzliche Therapie mit NSAR erfolgen. (18) Die Wirksamkeit eines Biologikums soll nach 12 Wochen überprüft werden. (19) Bei Patienten, die ein Ansprechen zeigen (Verbesserung im BASDAI um ≥2 oder ASDAS um ≥1,1 Punkte) und bei denen eine positive Expertenmeinung vorliegt, kann die Biologika-Therapie fortgeführt werden. Bei Patienten ohne Ansprechen sollte ein Absetzen in Erwägung gezogen werden. (20) Eine Empfehlung, ob mit einem TNFi oder IL-17i begonnen werden soll, kann aufgrund der Studiendaten zur Wirksamkeit und Sicherheit nicht gegeben werden. Für TNFi bestehen längere Erfahrungen in der klinischen Anwendung. (21) Bei nicht-ausreichender Wirksamkeit eines Biologikums und bestehender hoher entzündlicher Krankheitsaktivität sollte der Wechsel auf ein anderes Biologikum erfolgen. (22) Bei Patienten in anhaltender Remission (≥6 Monate) unter einem Biologikum kann eine Dosisreduktion bzw. Intervallverlängerung und später ggf. auch das Absetzen des Biologikums erwogen werden. (23)

DMARDs und Steroide: Bei Patienten mit axialer SpA und klinisch führender peripherer Arthritis sollte eine Therapie mit Sulfasalazin durchgeführt werden. Andere csDMARDs wie Methotrexat (MTX) können alternativ eingesetzt werden. (24) Bei Patienten mit ankylosierender Spondylitis (AS) sollte keine Behandlung der Wirbelsäulensymptomatik mit MTX erfolgen. (25) Es gibt ferner keine ausreichende Evidenz, eine Kombination von TNFi mit MTX zur Vermeidung von Anti-Drug-Antibodies (ADAs) zu empfehlen. (26) Die systemische Langzeitgabe von Glukokortikoiden (GK) wird bei Patienten mit Achsenskelettbeteiligung ebenfalls nicht empfohlen. Für die Wirksamkeit einer kurzfristigen Therapie mit GK gibt es nur sehr begrenzte Evidenz. (27) Bei Patienten mit axialer SpA und symptomatischer peripherer Arthritis oder Enthesitis kann eine lokale Injektion mit GK erfolgen. (28) Bei Patienten mit axialer SpA und symptomatischer florider Sakroiliitis kann eine GK-Injektion in das SIG erfolgen. (29)

Operation und Reha: Bei Patienten mit AS und einer klinisch symptomatischen Destruktion der Hüftgelenke sollte die Indikation zur Versorgung mit einer Totalendoprothese unabhängig vom Lebensalter gestellt werden. (30) Die Möglichkeit einer Wirbelsäulen-Aufrichtungs-Operation in einem erfahrenen Zentrum sollte AS-Patienten mit einer erheblichen Wirbelsäulenkyphose und dem Verlust der horizontalen Sicht angeboten werden. (31) Patienten mit axialer SpA und ankylosierter WS und einer Wirbelfraktur sollten in einem spezialisierten operativen Wirbelsäulenzentrum vorgestellt werden. (32) Die medizinische Rehabilitation wirkt sich positiv auf die Schmerzen, Beweglichkeit und körperliche Funktionsfähigkeit bei Patienten mit funktionellen Einschränkungen aus. Die Indikation zur Rehabilitation sollte bedarfsorientiert evaluiert werden, auch vor Ablauf des vierjährigen Regelabstandes. (33)


Patientenspezifische Aspekte

Die systematische Erfassung von funktionellen Beeinträchtigungen zur Beurteilung der Krankheitslast bei Patienten mit axialer SpA kann mit der Internationalen Klassifikation für Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) erfolgen. Das ICF Core Set für AS gibt auch für relevante Bereiche der Teilhabe eine Orientierung. (1) Patienten sollen darüber informiert werden, dass Aktivität und Teilhabe durch pharmakologische und nicht-pharmakologische Maßnahmen positiv beeinflusst werden. (2) Nicht-pharmakologische Maßnahmen sind multimodale Rehabilitation mit intensiver Bewegungstherapie, strukturierte Patientenschulung und berufsbezogene Therapieelemente in der Rehabilitation. (3) 

Patienten mit axialer SpA sollten an einem strukturierten Schulungsprogramm teilnehmen, da die Krankheitsbewältigung verbessert und die Krankheitskosten reduziert werden. (1) Sie sollen darüber informiert werden, dass neben den allgemeinen gesundheitlichen Risiken des Rauchens speziell für sie stärkere Einbußen der Funktionsfähigkeit, eine stärkere röntgenologische Progression und ein schlechteres Therapieansprechen auf Biologika im Vergleich zu Nichtrauchern bestehen. (2) Last but not least: Patientenorganisationen und Selbsthilfegruppen können das Management der Erkrankung unterstützen. (3)     

Quelle: www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/060-003.html, Stand 14. August 2019