Update der Handlungsempfehlungen zur Betreuung von Rheumapatienten im Rahmen der SARS-CoV-2/COVID-19-Pandemie 

Kurz nach Ausrufung der SARS-CoV-2-Infektion zur Pandemie hat die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie e.V. (DGRh) eine erste Handlungsempfehlung zur Betreuung von Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen (ERE) erstellt, die auf einem Expertenkonsens beruhte und weitgehend „nicht-evidenzbasiert“ war. Nachdem inzwischen erste Daten aus Registern, Querschnittstudien und Fallserien vorliegen, werden durch das Juli-Update auf Basis einer Literatursuche bis zum 15. Juni 2020 die bisherigen Empfehlungen aktualisiert und um neue Erkenntnisse erweitert. 

Das vorliegende Update für die Betreuung von Patienten mit ERE im Rahmen der SARS-CoV-2/COVID-19-Pandemie adressiert insbesondere die Themen Risikoeinschätzung in Kapitel 2, Prävention und Management in Kapitel 3und schließlich den Umgang mit antirheumatischen Medikamenten in Kapitel 4. Es werden zehn Kernempfehlungen ausgesprochen (Tab.).  

2.1. Nachweis einer durchgemachten Infektion mit SARS-CoV-2

Mit zunehmender Dauer der Pandemie steigt der Anteil von Patienten, welche sich mit SARS-CoV-2 auseinandergesetzt haben, unabhängig davon, ob COVID-19 Symptome vorgelegen haben. Zukünftig kann es wichtig werden, das individuelle Infektionsrisiko durch Kenntnis des Immunstatus der ERE-Patienten gegen SARS-CoV-2 abschätzen zu können. Momentan kann aber aufgrund fehlender Daten zur Antikörperbildung und -persistenz, insbesondere unter Immunsuppression und wegen eingeschränkter bzw. unklarer Spezifität und Sensitivität der Testverfahren noch keine Empfehlung für ein Screening von ERE-Patienten auf Antikörper ausgesprochen werden. Zudem kann noch nicht beurteilt werden, ob das Risiko für eine Re-Infektion oder die Kontagiosität bei Nachweis von IgG-Antikörpern gegen SARS-CoV-2 reduziert ist. Somit wird auch im Falle eines positiven Antikörpertests dringend davon abgeraten, die allgemeinen und speziellen Maßnahmen zur Infektions- und Fremdansteckungsprophylaxe einzuschränken.

2.2. Risikoeinschätzung für Infektion und schweren Verlauf

ERE-Patienten haben unter besonderen Voraussetzungen ein erhöhtes Infektionsrisiko für bestimmte Infektionen. Nach Angaben des RKI zählen immunsupprimierte Patienten zu den besonders gefährdeten Patientengruppen. Daten aus COVID-19-Registern, Fallserien und Fallberichten legen aber nach derzeitigem Wissensstand nahe, dass Patienten mit ERE im Vergleich zur nicht rheumatisch erkrankten Bevölkerung kein grundsätzlich erhöhtes Risiko einer Infektion mit SARS-CoV-2 aufweisen. Auch zeigen die bisherigen Daten mehrheitlich, dass COVID-19 bei Patienten mit einer ERE nicht schwerer verläuft als bei nicht rheumatisch erkrankten Personen. Ebenso gibt es momentan keine überzeugende Evidenz, dass – mit Ausnahme der Glukokortikoide (GK) – die medikamentöse antirheumatische Therapie ein Risiko für einen schweren Verlauf von COVID-19 bei ERE-Patienten darstellt. Die derzeitige Datenlage lässt annehmen, dass vermutlich das Risiko für einen schweren Verlauf bei einer unzureichend eingestellten ERE erhöht ist. Da jede Veränderung der laufenden Therapie eine potenzielle Destabilisierung der Krankheitskontrolle nach sich zieht, sollte daher bei gut eingestellten Patienten die medikamentöse antirheumatische Therapie nicht vom üblichen Vorgehen abweichend verändert oder pausiert werden.

Es ist wahrscheinlich, dass die bekannten Risikofaktoren für einen schweren Verlauf einer COVID-19-Erkrankung auch für ERE-Patienten gelten. Dies ist von besonderer Bedeutung, da viele ERE eine erhöhte Prävalenz dieser Risikofaktoren bzw. Komorbiditäten, wie z. B. Adipositas, metabolisches Syndrom und kardiovaskuläre Erkrankungen, aufweisen. Zusätzlich gelten bei ERE-Patienten eine Dauertherapie mit GK (mehr als zweifach erhöhtes Risiko für die Notwendigkeit einer Hospitalisierung ab 10 mg/Tag) und eine erhöhte rheumatische Krankheitsaktivität als spezifische Risikofaktoren.

3. Prävention und Management: Vermeidung von Infektionen und Schutzmaßnahmen

Es gelten die vom RKI und der BZgA für die Allgemeinbevölkerung und speziell gefährdete Personen beschriebenen und regelmäßig aktualisierten grundsätzlichen Verhaltens- und Vorsichtsmaßnahmen. Besondere, darüber hinaus gehende Maßnahmen werden nicht generell empfohlen. Eine Arbeitsunfähigkeit im Kontext der COVID-19-Pandemie allein wegen der rheumatischen Erkrankung und ihrer Behandlung ist nicht gerechtfertigt. Bei besonderer Gefährdung sollten die Risiken individuell beurteilt werden. Es kann ein Attest ausgestellt werden, dass eine immunmodulatorische/immunsuppressive Therapie besteht. Damit können die Patienten sich an Betriebsärzte, Amtsärzte oder Arbeitgeber wenden und klären, ob es nötig ist, einen Arbeitsplatz mit Kontaktminimierung bzw. -vermeidung zu erhalten. 

Angesichts der aktuellen Situation in Deutschland und unter Abwägung von Nutzen und Risiko besteht keine Notwendigkeit, Arztbesuche nur unter dem Aspekt der Reduktion des Infektionsrisikos zu vermeiden. Notwendige stationäre Behandlungen sollen nicht verzögert werden. In den Praxen und Ambulanzen müssen entsprechende Verhaltens- und Hygienemaßnahmen gewährleistet sein. Es sollten intelligente Sprechstundenplanungen durchgeführt werden (u. a. für kurze Wartezeiten, Einhalten nötiger Abstandsregeln, Minimierung der Zahl von Begleitpersonen). Um Kontakte zwischen potentiell SARS-CoV-2-Infizierten und Rheumatologen bzw. zwischen Infizierten und rheumatologischen Versorgungseinrichtungen zu vermeiden bzw. zu minimieren, sollen Patienten im Vorfeld informiert werden, nicht mit Krankheitssymptomen oder nach Kontakt zu nachweislich SARS-CoV-2-Infizierten in die Einrichtung zu kommen. In solchen Fällen oder nach Aufenthalt in einem Hochendemiegebiet („Hotspot“) soll zunächst telefonisch mit der Praxis Kontakt aufgenommen werden.

Typische COVID-19-Symptome oder Kontakte zu Erkrankten können vorab erfragt werden. Zur Unterbrechung von Infektionsketten und Eindämmung einer neuen möglichen Infektionswelle ist Patienten der Einsatz der jetzt verfügbaren „Corona-Warn-App“ empfohlen. Entsprechend den STIKO-Empfehlungen sollte der Impfstatus aktualisiert werden (v. a. Pneumokokken- und Influenza-Impfung sobald für 2020/2021 verfügbar).

4. Therapie bei SARS-CoV-2- Infektion sowie bei COVID-19

Die Behandlung der SARS-CoV-2-Infektion sollte durch den Hausarzt (milde Fälle), einen Infektiologen, Pneumologen oder ggf. durch einen Intensivmediziner (schwere Fälle) gesteuert werden. Rheumatologen sollten bei der Entscheidung, die antirheumatische Therapie beizubehalten, zu reduzieren oder zu pausieren, immer einbezogen werden. Zahlreiche immunmodulatorischen Therapien werden bei COVID-19-Patienten in Studien getestet (u. a. Hydroxychloroquin [HCQ], Colchicin, Tocilizumab, Sarilumab, Anakinra, Canakinumab, JAK-Inhibitoren). Die DGRh sieht zwar in der Anwendung dieser Substanzen zum Teil potenziell vielversprechende therapeutische Ansätze, empfiehlt aber den Einsatz zunächst in klinischen Studien. Dies soll auch die Verfügbarkeit von DMARDs für die Behandlung von ERE-Patienten gewährleisten. Es wird dazu aufgefordert, Patienten mit ERE und einem positiven Test auf SARS-CoV-2 (PCR und/oder Antikörpertest) im COVID-19 Register der DGRh (COVID19-rheuma.de) zu dokumentieren. Es gelten weiterhin die folgenden speziellen Empfehlungen.

4.1. Patienten ohne Infektzeichen

Bestehende antirheumatische Therapie:

Die Behandlung mit NSAR, GK, csDMARDs, tsDMARDs, bDMARDs und Immunsuppressiva (z. B. Azathioprin, Cyclophosphamid) sollte, sofern aufgrund der ERE indiziert, unverändert fortgesetzt werden und nicht allein aus Furcht vor einer Infektion mit SARS-CoV-2 beendet oder in der Dosis reduziert werden. In rheumatogischen Indikationen sollte HCQ wie bisher eingesetzt werden. Ein vermuteter protektiver Effekt von HCQ bei COVID-19 konnte bislang nicht belegt werden.

Für Rituximab (RTX) gibt es widersprüchliche Daten hinsichtlich des COVID-19-Verlaufs bei ERE. Da auch über fatale Verläufe berichtet wurde, sollte bei der Anwendung von RTX für Indikationen ohne potenziell lebensbedrohliche Manifestationen (d. h. insbesondere bei unkomplizierter RA) und bei anhaltender Remission und persistierender B-Zell-Depletion und/oder Hypogammaglobulinämie eine Verschiebung der RTX-Gabe erwogen werden. Dieses sollte unter Abwägung des Risikos für ein Rezidiv erfolgen. Ob eine B-Zell-Depletion und/oder Hypogammaglobulinämie tatsächlich Risikofaktoren für einen schweren COVID-19-Verlauf darstellen, ist allerdings nicht geklärt. In keinem Fall sollte die Anwendung von RTX zur Remissionsinduktion bei organbedrohenden Systemerkrankungen verzögert werden.

Neubeginn/Umstellung einer antirheumatischen Therapie:

Eine antirheumatische Therapie sollte nicht aufgrund der COVID-19-Pandemie unterbleiben, verzögert oder unterdosiert werden, wenn die ERE eine solche Therapie erfordert. Eine Empfehlung für ein bestimmtes DMARD kann bei Neueinstellung aktuell nicht gegeben werden. Bei bestehenden Alternativen kann erwogen werden, den Einsatz von Substanzen mit kurzer Halbwertszeit (HWZ) zu bevorzugen. Bei validen Alternativen (z. B. bei der RA) sollte der Einsatz von RTX wegen der langen B-Zell-Depletion, potenziell eingeschränkten Impfantwort (auch in Bezug auf zukünftige COVID-19-Impfstoffe) sowie Fallberichten über fatale und komplexe COVID-19-Verläufe kritisch hinterfragt werden. 

Eine Nutzung von Rituximab zur Remissionsinduktion bei Systemerkrankungen (z. B. bei ANCA-assoziierten Vaskulitiden [AAV]) sollte allerdings nicht aus Sorge vor COVID-19 unterbleiben. Bekannte Protokolle (z. B. bei Riesenzell-Arteriitis, AAV) mit reduzierter GK-Gabe sollten bevorzugt werden.

4.2. Patienten mit Kontakt zu SARS-CoV-2 positiver Person und ohne Infektzeichen

Die Therapie sollte wie unter Punkt 4.1 beschrieben fortgeführt werden. Bei Auftreten von Symptomen sollte umgehend eine Kontaktaufnahme mit einem Arzt bzw. Rheumatologen erfolgen (s. Punkt 4.3).

4.3. Patienten mit Kontakt zu SARS-CoV-2 positiver Person und mit Infektzeichen

Es sollte umgehend ein Abstrich auf SARS-CoV-2 erfolgen. Eine Therapieänderung sollte bei leichten Symptomen und fehlendem Fieber nicht erfolgen. Bei deutlichen Infektzeichen und insbesondere Fieber (>38° C) sollte die antirheumatische Medikation pausiert werden. Eine etwaige GK-Dauertherapie <10 mg/Tag sollte in gleicher Dosis fortgesetzt werden.

4.4. Patienten positiv auf SARS-CoV-2 getestet (PCR) und ohne Infektzeichen

Ein Pausieren oder Herauszögern einer ts- oder bDMARD-Therapie für die Dauer der mittleren Inkubationszeit sollte erwogen werden. Da häufig nicht bekannt ist, wann eine Infektion erfolgt ist, sollte, sofern weiter Symptomfreiheit vorliegt, eine Pause für 5 bis 6 Tage nach Abstrich erwogen werden. Eine etwaige GK-Dauertherapie <10 mg/Tag sollte in gleicher Dosis fortgesetzt werden. csDMARDs sollten nicht abgesetzt 
werden.

4.5. Patienten positiv auf SARS-CoV-2 getestet (PCR) und mit Infektzeichen

Eine etwaige GK-Dauertherapie <10 mg/Tag sollte in gleicher Dosis fortgesetzt werden. DMARDs sollten in dieser Situation pausiert werden. Bei Einnahme von Leflunomid sollte wegen der langen HWZ der Substanz ein Auswaschen erwogen werden. Eine womöglich günstige Wirkung von bDMARDs und tsDMARDs auf den Verlauf von COVID-19 wird derzeit getestet. Es kann daher im Einzelfall auch eine Fortführung der Therapie mit diesen Substanzen erwogen werden.

Quelle: Empfehlungen der Kommission Pharmakotherapie und des DGRh-Vorstands, Stand 1. Juli 2020; DGRh-Mitteilung vom 14. Juli 2020