MEDIZINRECHT

Stärkung der BAG bei Nachbesetzungsverfahren

Bei der Nachbesetzung eines Arztsitzes ist nach einer neuen Entscheidung des Bundessozialgerichts auf die Fallzahl der gesamten Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) und nicht nur auf die Fallzahl des einzelnen (ausscheidenden) Arztes abzustellen (Urteil vom 27.06.2018 – B 6 KA 46/17 R).

Mit dieser Entscheidung konnte sich eine fachärztliche BAG aus Berlin gegen den Zulassungsausschuss durchsetzen. Deren Praxis bestand aus zwei Chirurginnen und einem Chirurgen, der im Mai 2015 verstarb. In den davor liegenden Jahren hatte er seine Tätigkeit mit 24-132 Fällen/Quartal weit unter dem Fachgruppendurchschnitt (ca. 750 Fälle/Quartal) erbracht. Im letzten Quartal vor seinem Tod hatte er nur noch vier Patienten behandelt. Fraglich war nun, ob dessen Sitz überhaupt noch in vollem Umfang nachbesetzt werden konnte.

Der Zulassungsausschuss war der Auffassung, der ausgeschiedene Arzt habe seinen Vertragsarztsitz zuletzt nicht ausgefüllt, deshalb könne nur ein halber Sitz nachbesetzt werden. Das Sozialgericht hatte die dagegen erhobene Klage der Ärzte abgewiesen und ausgeführt, im Hinblick auf den weiteren halben Versorgungsauftrag fehle es an einer fortführungsfähigen Praxis. Es sei nicht auf die BAG als Ganzes, sondern nur auf den einzelnen Arzt und die Zahl der von ihm behandelten Patienten abzustellen. Die BAG sei zwar eine einheitliche Rechtspersönlichkeit, bei der Zulassung und im Nachbesetzungsverfahren komme es aber auf den einzelnen Arzt an. 

Die dagegen erhobene Sprungrevision (das Landessozialgericht als 2. Instanz wurde übersprungen) war erfolgreich: Der Senat stellte fest, dass im Fall der Nachbesetzung in einer BAG auf die Fallzahlen der gesamten BAG und nicht auf den einzelnen ausscheidenden Arzt abzustellen ist. Die BAG sei unter anderem durch die gemeinsame Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit und die Abrechnung der Leistungen unter einer einheitlichen Arztnummer gekennzeichnet. Auch nach Einführung der LANR, die eine Zuordnung jeder einzelnen Behandlungsmaßnahme zu einem bestimmten Arzt ermögliche, werde die BAG weiterhin als Einheit betrachtet; Behandlungen durch verschiedene Mitglieder der BAG bildeten einen einzigen Behandlungsfall, ein Vertretungsfall trete dadurch nicht ein. Bestehe danach eine fortführungsfähige Praxis – nämlich die BAG der verbleibenden Ärzte – könne deshalb grundsätzlich ein Nachbesetzungsverfahren durchgeführt werden. 

Der Zulassungsausschuss hat nun erneut zu prüfen, ob die Nachbesetzung des Sitzes aus Versorgungsgründen erforderlich ist und somit auszuschreiben ist. Dieses wird nach einer Faustformel dann angenommen, wenn die Fallzahl pro Arzt zumindest dem hälftigen Fachgruppendurchschnitt entspricht. Zudem werden auch weitere Kriterien wie längere Wartezeiten (dies liegt regelmäßig z. B. in der Versorgung von Rheumapatienten vor) berücksichtigt. Dem Zulassungsausschuss steht dabei ein gerichtlich nur beschränkt nachprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. 

Der Senat stärkte die BAG aber auch weiter: Wenn der frei gewordene Vertragsarztsitz einer BAG zugeordnet ist und könne dieser nur von einem Arzt in der BAG fortgeführt werden, sei die Prüfung der „Entbehrlichkeit“ des Sitzes auch an der Struktur dieser BAG auszurichten. Dabei sei zunächst von Bedeutung, ob die Praxis in ihrer gewachsenen Ausrichtung überhaupt ohne die Nachbesetzung geführt werden könne; dies betreffe sowohl die Konstellation, in der der ausgeschiedene Arzt das qualitative Angebot der Praxis geprägt habe, weil er z. B. als einziger über eine Befähigung nach § 135 Abs. 2 SGB V (z. B. MRT) verfügte, als auch die Konstellation, dass die Fortführung der Praxis im bisherigen Umfang auf eine bestimmte Zusammensetzung ausgerichtet war. Die Auslastung der Praxis an ihrem konkreten Standort sei dabei ein Indiz dafür, dass sie einen relevanten Stellenwert in der Versorgung habe. Die Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit in einer BAG unterfalle dem Schutz des Artikel 12 Abs. 1 GG, deren Belange bei der Nachbesetzung zu berücksichtigen seien.

Rechtsanwalt Jörg Hohmann
Fachanwalt für Medizinrecht
Kanzlei Prof. Schlegel Hohmann Mangold & Partner
Paul-Nevermann-Platz 5
22765 Hamburg

Kompakt: Dieses auch für Rheumatologen erfreuliche Urteil stärkt die Idee der Kooperation. Im Falle eines längeren krankheitsbedingten Ausfalls vor dem Ausscheiden und einem damit verbundenen Fallzahlrückgang kann dennoch eine vollumfängliche Nachbesetzung erfolgen, wenn die Gesellschaft daran ein berechtigtes Interesse hat (z. B. Ausrichtung der gesamten Praxis auf eine entsprechende Zahl an Behandlern durch entsprechende Praxisgröße und vorgehaltenem Personal). In der Versorgung im Bereich der Rheumatologie kann zudem mit der Notwendigkeit der Fortführung des Sitzes aufgrund der Bedarfslage argumentiert werden.