Definition Off-Label-Use
Unter Off-Label-Use wird der zulassungsüberschreitende Einsatz eines Arzneimittels außerhalb der von den nationalen oder europäischen Zulassungsbehörden genehmigten Anwendungsgebiete (Indikationen, Patientengruppen) verstanden. Grundsätzlich ist Ärztinnen und Ärzten eine zulassungsüberschreitende Anwendung von Arzneimitteln erlaubt.
Bedeutung der Arzneimittelrichtlinie
Eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist ein Off-Label-Use jedoch nur in Ausnahmefällen. Denn grundsätzlich kann ein Medikament in Deutschland nur dann zulasten der GKV verordnet werden, wenn es zur Behandlung von Erkrankungen eingesetzt wird, für die ein pharmazeutisches Unternehmen die arzneimittelrechtliche Zulassung bei der zuständigen Behörde erwirkt hat. Der Gesetzgeber hat jedoch einen Weg eröffnet, in engen Grenzen einen Off-Label-Use als GKV-Leistung zu ermöglichen. Zur fachlich-wissenschaftlichen Beurteilung dieser Thematik wird vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) eine Expertengruppe eingesetzt. Mit einem entsprechenden Beschluss nimmt sodann der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) den Wirkstoff in die Anlage VI der Arzneimittel-Richtlinie (AMR) auf. Je nach Ergebnis der Empfehlungen der Expertengruppe wird der Wirkstoff hier als im Off-Label-Use „verordnungsfähig“ (Teil A der Anlage) oder als „nicht verordnungsfähig“ (Teil B) eingestuft.
Kriterien des Bundessozialgerichts
Soweit ein Arzneimittel noch nicht in die Anlage VI der AMR aufgenommen wurde, übernimmt eine Krankenkasse die Kosten für einen Off-Label-Use nur dann, wenn der Einsatz des Medikaments die strengen Voraussetzungen der bundessozialgerichtlichen Rechtsprechung erfüllt: Zunächst muss eine schwerwiegende Erkrankung vorliegen. Dies ist immer dann der Fall, wenn die Erkrankung lebensbedrohlich ist oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt. Sodann darf keine andere Therapie, die zulasten der GKV verordnet werden kann, zur Verfügung stehen. Zuletzt muss für den Off-Label-Use aufgrund der Datenlage eine begründete Aussicht auf einen kurativen oder palliativen Behandlungserfolg bestehen. Dies ist immer dann der Fall, wenn Ergebnisse einer Phase-III-Studie oder anderweitig erlangte Erkenntnisse von gleicher Qualität vorliegen, die einen relevanten Nutzen oder eine relevante Wirksamkeit bei einem vertretbaren Risiko belegen.
Schutz durch Kostenanträge
Zum Schutz vor einem Regressantrag der Krankenkassen ist deshalb insbesondere bei hochpreisigen und innovativen Medikamenten dem Arzt dringend zu empfehlen, einen entsprechenden Kostenerstattungsantrag bei der Krankenkasse zu stellen, bevor das Arzneimittel verordnet wird. Prof. Fiehn wies in diesem Zusammenhang auf eine neue Datenbank der DGRh mit Off-Label-Use-Anträgen hin, die für die typischen rheumatologischen Arzneimitteleinsätze außerhalb ihrer Zulassungen Musterbegründungen für die Anträge bei den Krankenkassen enthält. Die Anträge finden sich im Mitgliederbereich der Seite www.dgrh.de.
Entscheidung durch den Medizinischen Dienst
Über die Anträge entscheidet der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK). Empfiehlt der MDK den beantragten Off-Label-Use, besteht für den Arzt kein Regressrisiko. Sieht der MDK zwar die sozialmedizinischen Kriterien nach der sozialgerichtlichen Rechtsprechung nicht als erfüllt an, hält den Einsatz aber im konkreten Fall für nachvollziehbar, so obliegt es der Krankenkasse, ob sie den Off-Label-Use genehmigt. Im Falle der Ablehnung kann man dem verordnenden Arzt nur raten, die Therapie dem Patienten auf Selbstzahlerbasis anzubieten.
Methotrexat-Verfahren
Aktuell laufen viele Verfahren der Betriebskrankenkassen, welche Ende 2023 Regresse wegen dem Off-Label-Use von Methotrexat (MTX) bei rheumatischen Erkrankungen angedroht hatten. Dabei schalteten sich der DGRh und der BDRh mit einer fundierten Stellungnahme gegenüber den Krankenkassen in die Verfahren ein. Sie zeigten auf, dass die Jahrestherapiekosten bei Einsatz der zugelassenen Biologika den Einsatz des zulassungsüberschreitenden, aber jahrelang bewährten MTX deutlich übersteigen würden, sodass der Off-Label-Einsatz insgesamt als wirtschaftlich zu betrachten sei. Vor diesem Hintergrund nahmen die Betriebskrankenkassen ihre Regressanträge teilweise zurück.
Haftungsrechtliche Aspekte
Neben dem Kostenaspekt ist beim Off-Label-Use das Arzthaftungsrecht zu beachten. Gemäß § 84 Absatz 1 Satz Arzneimittelgesetz haftet der pharmazeutische Unternehmer verschuldensunabhängig, wenn infolge der Anwendung seines Arzneimittels ein Mensch getötet oder in seiner Gesundheit nicht unerheblich verletzt wird. Diese verschuldensunabhängige Haftung des Arzneimittelherstellers gilt jedoch nur bei einem bestimmungsgemäßen Gebrauch des Arzneimittels. Dieser wiederum ist grundsätzlich bei einem Off-Label-Use nicht gegeben. Damit übernimmt der verordnende Arzt die Arzneimittelhaftung. Kommt in der Folge der Patient im Rahmen des Off-Label-Use zu Schaden, so vermutet das Gesetz, dass das Arzneimittel die Gesundheitsverletzung verursacht hat. Den entsprechenden Gegenbeweis muss der Arzt antreten.
Erhöhte Aufklärungspflichten
Aus diesem Grunde treffen den verordnenden Arzt erhöhte Anforderungen an die Aufklärung: Zum einen muss der Patient darüber aufgeklärt werden, dass das Arzneimittel zwar eine Zulassung hat, jedoch der geplante Einsatz von dieser nicht abgedeckt ist. Hieraus resultiert die Gefahr, dass Risiken auftreten können, die noch nicht bekannt sind, weil es an den entsprechenden Zulassungsstudien fehlt.
Zum anderen muss der Arzt sorgfältig prüfen und den Patienten darüber aufklären, wenn möglicherweise ein Arzneimittel mit einer entsprechenden Zulassung verfügbar ist, welches höhere Chancen bietet und/oder geringere Risiken als das präferierte Off-Label-Use-Präparat aufweist. Wichtig ist dabei, dass die Aufklärung über den Off-Label-Einsatz sorgfältig dokumentiert werden muss.
Rechtsanwalt Christian Koller
TACKE KOLLER Rechtsanwälte in Partnerschaft
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