ENTZÜNDLICH-RHEUMATISCHE ERKRANKUNGEN

DGRh-Empfehlungen zum Management von frühem COVID-19 bei Risikopatienten

Für Patienten mit Risikofaktoren für einen schweren COVID-19-Verlauf gibt es neue Therapieoptionen, was die Ad-Hoc-Kommission COVID-19 der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) zu einer Aktualisierung ihrer Empfehlungen zu deren Einsatz bei Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen (ERE) veranlasste. Bei noch stark limitierter Datenlage zur passiven Immunisierung und antiviralen Therapie bei der jetzt vorherrschenden Omikron-Variante von SARS-CoV-2 beruhen diese Empfehlungen vorwiegend auf einem Expertenkonsens bzw. Extrapolation aus Erfahrungen mit vorherigen Varianten.

Risiko für schweren COVID-19-Verlauf bei ERE-Patienten

Entscheidend für die Abschätzung des Risikos für einen schweren COVID-19-Verlauf bei ERE-Patienten sind die Krankheitsaktivität, Organschäden, bestimmte immunsuppressive Therapien, aber auch für die Allgemeinbevölkerung geltende Risikofaktoren. Folgende spezifische Faktoren und Therapien sind mit einem schweren COVID-19-Verlauf bei ERE-Patienten assoziiert: Krankheitsassoziierte Aspekte sind hohe (inflammatorische) Aktivität der Erkrankung, primäre und sekundäre Immundefizienz und relevante Organbeteiligung (z. B. Niere/Lunge), als Therapien sind Cyclophosphamid (CYC), Rituximab, Mycophenolat Mofetil (MMF), Glukokortikoide (GK) ≥10 mg/Tag, Januskinase (JAK)-Inhibitoren (Baricitinib, Filgotinib, Tofacitinib, Upadacitinib), Calcineurin-Inhibitoren (Ciclosporin A, Tacrolimus), Azathioprin und Kombinationen von mehreren Immunsuppressiva inklusive Methotrexat zu nennen.

Besonders gefährdet sind ungeimpfte oder unvollständig geimpfte Personen. Obwohl die Impfung keinen vollständigen Schutz gegen die Omikron-Variante verleiht, schützt sie meist vor schwerem Verlauf und Hospitalisierung. Auch bei Patienten mit Risikofaktoren reduziert die komplette Grundimmunisierung (1. u. 2. Impfung) mit mindestens einer Auffrischimpfung die Wahrscheinlichkeit eines schweren COVID-19-Verlaufs deutlich. Laut aktueller STIKO-Empfehlung vom 17. Februar 2022 wird u. a. bei ≥70-Jährigen, Personen mit hohem Risiko für schwere Verläufe und immundefizienten Menschen bereits eine zweite Auffrischimpfung mit einem mRNA-Impfstoff ≥3 Monate nach der ersten Auffrischimpfung empfohlen. Bei relevant immunsupprimierten Patienten, insbesondere, wenn die Immunsuppression schon während der Impfungen bestand, ist der Impfschutz womöglich vermindert bzw. ungewiss. Im Zweifelsfall kann bei der Abwägung der Indikation zur COVID-19-Frühtherapie von einem unzureichenden Schutz ausgegangen werden. Selbst wenn eine gute Antikörperantwort (oder T-Zell-Antwort) nach der Impfung nachgewiesen wurde, der Patient aber aktuell stark immunsupprimiert ist, kann eine erhöhte Gefährdung vorliegen.

Kandidaten für passive Immunisierung oder antivirale Therapie

Eine passive Immunisierung oder antivirale Therapie sollte im Falle einer nachgewiesenen, symptomatischen SARS-CoV-2-Infektion erwogen werden bei Patienten mit ERE und zusätzlichen Risikofaktoren, die womöglich keinen suffizienten Impfschutz haben (noch nicht oder nicht vollständig geimpft oder aufgrund relevanter Immunsuppression). Auch gilt dies für vollständig Geimpfte mit relevant immunsupprimierender Therapie (z. B. höher dosierte GK, Cyclophosphamid, Rituximab, MMF, Calcineurin-Inhibitoren, Azathioprin) kurz vor oder während der Impfung oder hoher systemischer Aktivität einer ERE, die eine eingeschränkte spezifische Immunantwort gegen SARS-CoV-2 möglich erscheinen lässt. Die Entscheidung erfolgt nach Abwägung des individuellen Risikos unter Berücksichtigung der allgemeinen und krankheitsbedingten Risikofaktoren. Wichtig ist der Beginn in der Frühphase der COVID-19-Erkrankung: Eine medikamentöse antivirale Therapie oder passive Immunisierung mit monoklonalen Antikörpern sollte möglichst ≤5 Tage nach Symptombeginn begonnen werden.

Antivirale Therapieoptionen

Zu den antiviralen Medikamenten zählt Nirmatrelvir kombiniert mit Ritonavir (Paxlovid®), zugelassen für die Therapie von COVID-19 bei Risikopatienten für einen schweren Verlauf. Die Einnahme (≤5 Tage nach Symptombeginn) erfolgt alle 12 h mit je einer Tablette Nirmatrelvir (150 mg) plus einer Tablette Ritonavir (100 mg) über 5 Tage. Die Therapie senkte in klinischen Studien die Hospitalisierungsrate um ca. 89 %. Auch bei Omikron-Varianten wird von einer suffizienten Wirkung ausgegangen. Mögliche Nebenwirkungen sind u. a. Dysgeusie, Diarrhö, Kopfschmerzen und Erbrechen. Zu beachten ist das Ritonavir-bedingte hohe Potenzial für Arzneimittelwechselwirkungen durch Interaktion mit CYP450-Isoenzymen. Bei einer eGFR <30 ml/min. ist es kontraindiziert.

Molnupiravir (Lagevrio®) ist zugelassen zur Therapie von COVID-19 bei Erwachsenen, die keinen zusätzlichen Sauerstoff benötigen und ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf haben. Die Einnahme sollte ≤5 Tage nach Infektion starten. Die empfohlene Dosis beträgt 800 mg (4 Kapseln á 200 mg) alle 12 h über 5 Tage. Wichtigste Nebenwirkungen sind auch hier Erbrechen, Übelkeit, Durchfälle und Kopfschmerzen. Molnupiravir ist teratogen und darf Schwangeren nicht verabreicht werden. In den bisherigen Studien zeigte sich eine Reduktion der Hospitalisierungsrate um ca. 48 %.

Paxlovid® und Lagevrio® können bei gesicherter Infektion im Rahmen der Indikation rezeptiert werden: Verordnung auf Muster 16, Kostenträger Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) mit dem IK 103609999 und nicht zu Lasten der Krankenkasse bzw. -versicherung. Bislang ist die Angabe „gültig bis“ zur Prävention missbräuchlicher Verwendung erforderlich. Rezepte sind binnen 5 Werktagen nach Ausstellung einzulösen. Alle Apotheken können die Medikamente kurzfristig über den Großhandel erhalten, eine Bevorratung in Apotheken, Kliniken oder Praxen ist derzeit nicht vorgesehen. Unerwünschte Ereignisse sollen wie üblich umgehend an das BfARM gemeldet werden.

Passive Immunisierung

Zur passiven Immunisierung sind mehere neutralisierende monoklonale Antikörper gegen das Spike-Protein von SARS-CoV-2 von der EMA zugelassen. Die Therapie ist umso wirksamer, je früher diese gegeben werden (möglichst ≤5 Tage nach Auftreten der ersten COVID-19-Symptome). Bei rechtzeitiger Verabreichung senken sie das Risiko für eine schwere Erkrankung und Tod durch COVID-19 erheblich um ca. 75-85 % je nach Studie und Antikörper. Zu beachten ist jedoch, dass die meisten Präparate gemäß in vitro-Analysen die Omikron-Variante schlechter neutralisieren.* So sind Regdanvimab (Regkirona®) und die Kombination aus Casirivimab und Imdevimab (Ronapreve®) gegen die Omikron-Variante praktisch unwirksam und sollten nicht eingesetzt werden. Sotrovimab (Xevudy®) ist aktuell der einzige verfügbare Antikörper, der in vitro die erste Omikron-Variante (BA.1) suffizient neutralisiert. Nachdem sich aus Laborstudien# die Hinweise häufen, dass Sotrovimab gegen die inzwischen vorherrschende Variante BA.2 nicht ausreichend wirksam ist, kommt Sotrovimab nur noch infrage, wenn ein sensibler Subtyp nachgewiesen werden konnte.

Zugelassen ist Sotrovimab für Erwachsene und Jugendliche ab 12 Jahren bei Nachweis einer SARS-CoV-2-Infektion und erhöhtem Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf, aber ohne erforderliche Sauerstoff-Supplementierung. Es wird in sogenannten Sternapotheken (meist große Klinikapotheken) vorgehalten und ist daher primär in Krankenhäusern verfügbar. Nach 1x i.v.-Gabe von 500 mg Sotrovimab über 30 Minuten ist eine Nachbeobachtung von ≥1 h einzuhalten, da es selten zu Infusionsreaktionen kommen kann. Es empfiehlt sich, zeitnah mit den jeweiligen Krankenhäusern/Zentren in der Region Kontakt aufzunehmen, um Patienten diese Therapie zeitgerecht zu ermöglichen.

Aufgrund einer Resistenzentwicklung von SARS-CoV-2 gegen Antikörpertherapien, die sich vereinzelt bei Patienten mit schweren primären und sekundären Immundefekten zeigte, kann bei diesen oder bei sehr starker Immunsuppression auch eine Kombination von antiviralen Medikamenten und passiver Immunisierung in einem infektiologischen Zentrum erwogen werden.

Präexpositionsprophylaxe

Neu verfügbar mit einer EMA-Empfehlung und Notzulassung und für Zentren über das BMG beziehbar ist eine Präexpositionsprophylaxe für Patienten mit unzureichendem Impfansprechen mit der Antikörperkombination Tixagevimab/Cilgavimab (Evusheld®).§ Diese langwirksame Kombination hat in ersten in vitro-Studien eine zumindest weitgehend erhaltene Neutralisation gegen Omikron BA.1 und partiell auch BA.2 gezeigt. In Studien zeigte sich eine Reduktion schwerer Verläufe bei Patienten mit moderater bis schwerer Immundefizienz oder deutlich vermindertem Impfansprechen aufgrund einer immunsuppressiven Therapie um 83 %. Tixagevimab/Cilgavimab wird alle 6 Monate als i.m.-Injektion jeder der Komponenten verabreicht. Die Indikation für ein eine solche Therapie sollte durch oder in enger Abstimmung mit entsprechend erfahrenen infektiologischen Zentren getroffen werden.

Ausdrücklich betont die Ad-Hoc-Kommission der DGRh, dass die Präexpositionsprophylaxe kein Ersatz für die Impfung, sondern für eine fehlende Impfantwort aufgrund von Immundefekten oder immunsuppressiven Therapien ist. Eine Gabe bei Schwangeren und Stillenden wird aufgrund mangelnder Daten nicht empfohlen. 

*siehe z. B. Signal Transduct Target Ther 2022; 7(1): 28
#siehe z. B. Nature 2022; doi: 10.1038/s41586-022-04594-4,
N Engl J Med 2022; doi: 10.1056/NEJMc2201933

§Tixagevimab/Cilgavimab erhielt am 30. März die EU-Zulassung für die Präexpositionsprophylaxe bei Erwachsenen und Jugendlichen ab 12 Jahren (Körpergewicht >40 kg).

Quelle: DGRh-Mitteilung, 31. März 2022