TERMINSERVICE- UND VERSORGUNGSGESETZ (TSVG)

Das Prüfungsschwert wird deutlich stumpfer

Seit Anfang Mai gilt das TSVG. Ziel des Gesetzgebers war es unter anderem, die vertragsärztliche Niederlassung attraktiver zu machen. Zu diesem Zwecke wurden zahlreiche Regelungen der Wirtschaftlichkeits- und Abrechnungsprüfung entschärft. Die wohl Bedeutendste ist die gesetzliche Festlegung einer Ausschlussfrist für Prüfungen. 

Verkürzte Ausschlussfristen 

Im Bereich der Wirtschaftlichkeits- und Abrechnungsprüfungen müssen die Festsetzung einer Kürzung für unwirtschaftliche ärztliche Leistungen nunmehr innerhalb von zwei Jahren ab Erlass des Honorarbescheids erfolgen. Damit halbiert das TSVG die vom Bundessozialgericht entwickelte, bislang geltende Ausschlussfrist von vier Jahren.  Ähnliches gilt für die Festsetzung einer Nachforderung („Regress“), wobei hier die Prüfgremien ein bisschen mehr Zeit erhalten. 

Die Regressierung einer unwirtschaftlichen Leistung muss nun innerhalb von zwei Jahren ab dem Schluss des Kalenderjahres, in dem die Leistung verordnet wurde, erfolgen. Dies dürfte zu vielen Verfahrenseinstellungen aus formellen Gründen führen, da allein die Lieferung der zu prüfenden Daten teilweise deutlich länger als ein halbes Jahr dauert. Dabei ist zu beachten, dass die Regelungen erst für Honorarbescheide gilt, die nach Inkrafttreten des TSVG ergangen sind.
Bezüglich davor ergangener Honorarbescheide verbleibt es bei der vierjährigen Ausschlussfrist.


Abschaffung der Zufälligkeitsprüfung

Bislang mussten die Prüfgremien mindestens 2 % der Vertragsärzte je Quartal ohne Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten prüfen. Dieser „Schuss ins Blaue“ stellte sich als äußerst ineffektiv heraus. Die obligatorische Zufälligkeitsprüfung wird deshalb durch eine anlassbezogene Prüfung ersetzt. Die Prüfung darf nur auf Antrag der Kassen oder der Kassenärztlichen Vereinigung durchgeführt werden. Aufgreifkriterien, die zu einer Antragstellung berechtigen, sind z. B. der begründete Verdacht einer Fehlindikation, Ineffektivität, Qualitätsmangel oder Unangemessenheit der Kosten der ärztlichen Leistung. Näheres regeln die Selbstverwaltungspartner auf Landesebene.


Weitere Prüfbremsen

Über die soeben dargestellte anlassbezogene Prüfung hinaus können die Selbstverwaltungspartner weitere Prüfverfahren vereinbaren. Im Falle der hoch umstrittenen Durchschnittsprüfung gilt jedoch eine erhebliche Einschränkung: So darf im Falle einer festgestellten (drohenden) Unterversorgung oder im Falle eines festgestellten zusätzlichen lokalen Versorgungsbedarf bei Ärzten der betroffenen Arztgruppe keine Prüfung nach Durchschnittswerten durchgeführt werden. Dies dürfte in einigen Regionen vor allem den Fachbereich der Rheumatologie betreffen. 

Des Weiteren müssen die regionalen Prüfungsvereinbarungen zukünftig eine Höchstzahlbegrenzung für die je Quartal zu prüfenden Ärzte enthalten. Diese Begrenzung muss dabei so ausgestaltet sein, dass weiter hin eine effektive Prüfung der Wirtschaftlichkeit gewährleistet ist. Eine „homöopathische“ Prüfzahl ist damit ausgeschlossen. 
 

Verbesserung der Praxisbesonderheiten

Die regionalen Prüfvereinbarungen müssen besondere Kriterien für die Definition von Praxisbesonderheiten enthalten. Als Praxisbesonderheit nennt die Gesetzesbegründung Landarztpraxen, eine Versorgungstätigkeit schwerpunktmäßig in Hospizen oder Pflegeheimen sowie die Versorgung bestimmter Patientengruppen, z. B. Patienten mit anerkannter Pflegebedürftigkeit oder bei schwerer Erkrankung, in deren Folge die Patienten nicht in der Lage sind, ärztliche Leistungen selbstständig in Anspruch zu nehmen. Ebenso sollen die Besuchsleistungen gefördert und dementsprechend bereits im Vorfeld als wirtschaftlich anerkannt werden.
 

Begrenzung von Verordnungsregressen

Wie auch bei der Verkürzung der Ausschlussfrist hebt der Gesetzgeber eine weitere arztfeindliche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auf. Bislang galt der vom BSG entwickelte sog. „Normative Schadensbegriff“. Handelte ein Arzt unwirtschaftlich, wurde der Rückforderung der gesamte Betrag der ärztlichen Leistung bzw. Verordnung zugrunde gelegt. Dies stieß vor allem in den Fällen auf Unverständnis, in denen Ärzte günstige Bezugswege (insbesondere die Verordnung von Sprechstundenbedarf) wählten, um Kosten für die Gesetzliche Krankenversicherung einzusparen. Anschließend wurde aber von den Krankenkassen eine Prüfung wegen des formal falschen Bezugsweges eingeleitet.  

Zukünftig werden Nachforderungen unwirtschaftlicher Verordnungsweisen gesetzlich auf die Höhe der Differenz der Kosten zwischen der wirtschaftlichen und der tatsächlichen ärztlichen verordneten Leistung begrenzt. Das bedeutet, dass der Schaden um den Betrag gemindert wird, den eine wirtschaftliche Leistung gekostet hätte. Probleme werden hier sog. Off-label-use-Fälle bereiten. Verordnet ein Arzt ein Arzneimittel außerhalb seiner Zulassung, ohne das die anerkannten Voraussetzungen vorliegen, ist die Verordnung nicht unwirtschaftlich, sondern sogar rechtlich unzulässig. Es dürfte sich damit die Frage stellen, ob bei einer unzulässigen Verordnung ebenfalls die Anrechnung einer zulässigen Alternativverordnung möglich ist. 

Solange dies nicht geklärt ist, muss aus Sicht des Arztes auch in diesen Fällen eine Anrechnung gefordert werden. 
 

Erleichterungen bei Impfstoffbestellungen

Der Stellenwert der Influenza-Prävention nimmt zu. Umso unerfreulicher war es bislang, dass zahlreiche Ärzte mit Prüfungen wegen Sprechstundenbedarf überzogen wurden, weil sie zu viel Impfstoffe bestellt hatten. Mit dem TSVG wird es einem Arzt nun erlaubt, im Rahmen seines Praxisbedarfs saisonale Grippeimpfstoffe mit einem gewissen Sicherheitszuschlag zur konkret erwartenden Nachfragen zu beschaffen. Dies soll verhindern, dass sie später Nachforderung wegen Unwirtschaftlichkeit befürchten müssen, wenn diese zusätzliche Dosen wider Erwarten (z. B. milder saisonaler Verlauf) nicht verwendet werden. 

Fazit: Das TSVG bringt viele spürbare Erleichterungen im Bereich des Prüfwesen. Insbesondere die deutlich kürzeren Ausschlussfristen werden zu einem Rückgang der Prüfverfahren führen. Auch die Aufhebung des normativen Schadensbegriff gibt den Ärzten im Regressverfahren mehr Argumente für eine Absenkung oder Aufhebung einer Nachforderung. Das einst so scharfe Prüfungsschwert wird stumpfer.
 

Rechtsanwalt Christian Koller
Fachanwalt für Medizinrecht
Kanzlei Tacke Krafft
Rindermarkt 3 und 4
80331 München
Mail: christian.koller(at)tacke-krafft.de