Rechtliche Vorgaben der Verordnungssteuerung
Als Medizinstudent hätte man auf die Frage, was das ärztliche Verordnungsverhalten steuert, vermutlich noch geantwortet: der medizinische Standard, wie er sich insbesondere in Leitlinien widerspiegelt. Falsch ist diese Antwort auch heute nicht, doch denken Vertragsärzte vermutlich zuerst an die Fülle rechtlicher Regelungen und Verlautbarungen von Krankenkassen und Kassenärztliche Vereinigungen (KVen), die sie zu beachten haben. Wie sind all diese Vorgaben miteinander in Einklang zu bringen? Die Antwort auf diese Frage ergibt sich aus der juristischen Normenpyramide: Ganz oben stehen das Europarecht (EuR GG) und das Grundgesetz (SGB V), aus denen sich nur selten konkrete Vorgaben für das ärztliche Verordnungsverhalten ableiten lassen, weshalb sie hier außer Betracht bleiben können. Wichtig ist jedoch die Erkenntnis, dass die gesetzlichen Vorgaben der Regulierung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA; z. B. Nutzenbewertungen) vorgehen. Die regionale Regulierung auf KV-Ebene (z. B. Quotenziele) steht wiederum unterhalb der G-BA-Richtlinien. Ganz unten steht die Informationspolitik von KVen und Krankenkassen, die keine verbindlichen Vorgaben machen kann, sondern nur über rechtliche Vorgaben zutreffend informieren darf. Was bedeutet das praktisch?
Qualitätsgebot und G-BA-Entscheidungen
Das Gesetz regelt in § 2 Absatz 1 Satz 3 SGB V das sogenannte Qualitätsgebot, nach dem die Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen und den medizinischen Fortschritt berücksichtigen müssen. Diese wenig konkrete Vorgabe ist vom Arzt im Hinblick auf die Besonderheiten seines Patienten zu konkretisieren. Dabei sind die Regeln der evidenzbasierten Medizin anzuwenden. Gleichzeitig hat der G-BA die Aufgabe, auf der Grundlage der evidenzbasierten Medizin den medizinischen Standard zu konkretisieren. Dies tut er etwa im Rahmen der Nutzenbewertungen neuer Arzneimittel, wenn er für das neue Arzneimittel einen Zusatznutzen gegenüber dem bisherigen Therapiestandard feststellt (oder auch nicht). Zu beachten ist jedoch, dass der G-BA seine Entscheidung allein auf der Grundlage von Studien trifft, also abstrakte Aussagen über eine typisierte Patientenklientel trifft. Der Arzt behandelt jedoch einen individuellen Patienten. Schon deshalb kann die Entscheidung des G-BA die Verordnungsentscheidung des Arztes nicht vorgeben. Zwar muss der Arzt die Bewertung des G-BA berücksichtigen. Was jedoch bei seinem Patienten dem medizinischen Standard entspricht, kann nur der einzelne Arzt entscheiden. Auch dort, wo der G-BA keinen Zusatznutzen erkennt, kann also im konkreten Einzelfall vom Arzt ein Zusatznutzen angenommen werden.
Wirtschaftlichkeitsgebot
Das in § 12 SGB V geregelte Wirtschaftlichkeitsgebot verlangt vom Arzt, unter therapeutisch gleichwertigen Optionen die für die Krankenkasse kostengünstigere auszuwählen. Gibt es einen medizinischen Grund zur Wahl der teureren Therapie, ist diese nach dem Qualitätsgebot geschuldet und entspricht auch dem Wirtschaftlichkeitsgebot. Der medizinische Grund sollte in der Patientenakte knapp dokumentiert werden, sodass der Arzt ihn später gegebenenfalls belegen kann. Diese einfache Vorgabe gilt unabhängig davon, ob es um große oder kleine Kostenunterschiede geht, um große oder kleine therapeutische Unterschiede. Sie gilt also z. B. auch für die Verordnungsentscheidung zwischen einem Original und einem Biosimilar. Gibt es einen Grund, ein bestimmtes Produkt auszuwählen, etwa weil die Umstellung auf ein anderes Produkt allgemein oder auch nur patientenindividuell problematisch ist, dann rechtfertigt dieser Grund auch Mehrkosten. Umgekehrt gilt selbstverständlich: Ist es egal, ob der Patient mit einem Original oder einem Biosimilar behandelt wird, ist die für die Krankenkasse kostengünstigere Option zu wählen. Dabei ist zu beachten, dass Rabattvertragsprodukte stets als kostengünstigste Option gelten.
Regionale Biosimilarquoten
In welchem Verhältnis steht dies nun zu regionalen Verordnungsquoten, die etwa einen bestimmten Prozentsatz von Biosimilar-Verordnungen regeln? Da die regionale Regelung im Verordnungsrang unter dem Gesetz steht, kann sie die Pflicht des Arztes zur Verordnung des Produkts, das dem Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebot entspricht, nicht aushebeln. Die Quoten sind also dahingehend zu verstehen, dass die regionalen Vertragspartner davon ausgehen, dass man unter Beachtung des Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebots zu dem definierten Prozentsatz Biosimilars einsetzen kann. Das muss aber nicht für die Patientenklientel jeder Praxis stimmen. Deshalb gilt in Wirtschaftlichkeitsprüfungen, dass die bloße Verfehlung einer Quote nie automatisch zu einem Regress führen darf. Es bedarf vorher stets der Prüfung, ob die Verordnungen nicht doch wirtschaftlich waren. Praktisch erfolgt dies im Rahmen von Wirtschaftlichkeitsprüfungen über die Anerkennung von Praxisbesonderheiten. Dass die Quoten den medizinischen Standard nicht exakt abbilden, bestätigt ein Blick auf die im Jahr 2019 geltenden biosimilarbezogenen Quotenvorgaben für Rheumatologen. Auch wenn die Verordnungsgruppen teilweise unterschiedlich definiert sind, weichen die Quoten in ihrer Höhe doch in einem Maße voneinander ab, das sich nicht medizinisch begründen lässt (Tab.). Tatsächlich bestimmen sich die Quotenhöhen im Wesentlichen nach dem tatsächlichen Verordnungsverhalten der Ärzte und spiegeln so eine Verordnungspraxis wider, die sich vermutlich nicht nur nach den Anforderungen des Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebots richtet, sondern insbesondere auch von Regressängsten und Informationsschreiben der Krankenkassen und KVen beeinflusst wird. Der Anspruch des Patienten darf aber durch aggressive Informationspolitik von Krankenkassen nicht beschränkt werden. Deshalb ist an Ärzte zu appellieren, sich bei ihren Verordnungsentscheidungen an den dargestellten Vorgaben des medizinischen Standards und des Wirtschaftlichkeitsgebots zu orientieren. Dann werden Einsparungen generiert, wo dies möglich ist, ohne dass der medizinische Standard unterschritten wird.
Wirtschaftlichkeitsprüfungen im Jahr 2019
Die Sorge vor Regressen ist nach wie vor weit verbreitet. Tatsächlich ist die Anzahl der Regresse in Auffälligkeitsprüfungen in den vergangenen Jahren bundesweit deutlich zurückgegangen und liegt, soweit mir bekannt, überall nur noch im Promillebereich; in einzelnen KV-Bezirken gab es gar keine Regresse mehr. Diese Entwicklung liegt zum einen an der seit 2012 geltenden Regelung „Beratung vor Regress“, zum anderen aber auch an den neu geschaffenen Instrumenten der Wirtschaftlichkeitsprüfung. Während in einigen KV-Bezirken zwar immer noch an den Richtgrößen als Prüfmaßstab festgehalten wird, orientiert man sich in den meisten Regionen an anderen Instrumenten: dem Fachgruppendurchschnitt, Richtwerten, Fallwerten, MRG-Kosten etc. Wieder andere Regionen prüfen nicht mehr das gesamte Verordnungsvolumen, sondern konzentrieren sich auf ausgewählte Verordnungsbereiche, für die sie Wirtschaftlichkeitsziele in Form von Quoten geregelt haben.
Verordnungssteuerung über Information
Der Rückgang der Prüf- und Regresswahrscheinlichkeit deckt sich häufig nicht mit der empfundenen Regressangst. Der Grund hierfür dürfte in einer zunehmenden Verordnungssteuerung durch Informationsschreiben der Krankenkassen und der KVen liegen. Hierin wird versucht, auf das Verordnungsverhalten mit vereinfachender Symbolik einzuwirken, etwa durch farbliche Kennzeichnungen: Generika und Biosimilars erscheinen „grün“, Originalpräparate „rot“. Wichtig ist jedoch zu erkennen, dass diese Informationsschreiben keine eigenen Regelungen setzen können. Auch „rot“ markierte Arzneimittel sind weiter verordnungsfähig nach den oben dargestellten Regeln. Die rote Markierung soll den Arzt lediglich anhalten zu überlegen, ob er das Arzneimittel – therapeutisch gleichwertig! – gegen ein kostengünstigeres ersetzen kann. Diese Entscheidung obliegt jedoch weiterhin dem Arzt nach Maßgabe des Qualitätsgebots. Die rote Markierung soll also lediglich ein Nachdenken auslösen und kein Verbot symbolisieren. Ob die häufige Farbwahl „rot – gelb – grün“ insoweit irreführend ist, sollte kritisch diskutiert werden.
Rechtsanwalt Dr. Gerhard Nitz
Fachanwalt für Medizinrecht
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