RIESENZELLARTERIITIS

Neue Erkenntnisse zum Einsatz von Tocilizumab

Beim Management von Patienten mit Riesenzellarteriitis (RZA) spielt der Interleukin-6-Rezeptorinhibitor (IL6Ri) Tocilizumab nach den positiven Ergebnissen der GiACTA-Studie eine zunehmend wichtige Rolle in der Steroideinsparung und bei refraktären Patienten. Zu dieser Studie wurden nun aus einer Open-label-Extension (OLE) neue Langzeitdaten publiziert, eine Post-hoc-Analyse befasste sich zudem genauer mit dem Ansprechen auf Tocilizumab bei RZA-Patienten mit Polymyalgia rheumatica (PMR)- und/oder kraniellen Symptomen. Veröffentlicht wurden zudem Real-life-Daten zum langfristigen Rezidivrisiko und dem Risiko für einen Visusverlust unter Tocilizumab.

Zunächst zu der von John H Stone, Boston (USA), und Kollegen veröffentlichten OLE der Phase-III GiACTA-Studie. In letzterer hatte sich gezeigt, dass die Kombination aus Tocilizumab und Glukokortikoid (GK)-Tapering effektiv beim Erhalt der klinischen Remission auch ohne GK ist. In der OLE wurden nun erfasst die Erhaltung der Wirksamkeit 12 Monate nach dem Absetzen von Tocilizumab, die Effektivität einer Wiederaufnahme des IL-6Ri nach einem Rezidiv sowie der langfristige steroidsparende Effekt von Tocilizumab. Zur Erinnerung: In Teil 1 der GiACTA-Studie waren 251 Patienten für 12 Monate im Verhältnis 2:1:1:1 auf s.c. Tocilizumab 162 mg 1x/Woche oder alle 14 Tage, kombiniert mit 26-wöchigem Prednison-Tapering, oder Placebo mit Prednison-Tapering über 26 oder 52 Wochen randomisiert worden. In Teil 2 (weitere 2 Jahre) der Studie, in den 215 Patienten eingingen, lag das Vorgehen (keine Therapie, Tocilizumab, GK, Methotrexat [MTX] oder Kombination) im Ermessen der Studienärztet.

Positive 3-Jahres-Daten der GiACTA-Studie

Im Ergebnis hatten nach 12 Monaten (Ende Teil 1) 81 Patienten unter Tocilizumab 1x/Woche eine klinische Remission erreicht, von denen 59 in Teil 2 ohne Therapie starteten. Bei 25 dieser 59 Patienten (42 %) konnte im gesamten Teil 2 der Studie eine Tocilizumab- und GK-freie klinische Remission aufrechterhalten werden. Die mediane kumulative GK-Dosis über 3 Jahre betrug 2.647 mg für Tocilizumab 1x/Woche, 3.948 mg für Tocilizumab alle 2 Wochen und 5.277 bzw. 5.323 mg für Placebo mit 26- oder 52-wöchigem Prednison-Tapering (van Elteren p≤0,001 für Tocilizumab 1x/Woche vs. Placebo; p<0,05 für Tocilizumab 1x/2 Wochen vs. Placebo). Tocilizumab-Strategien zum Wiedererlangen einer klinischen Remission nach einem Rezidiv waren erfolgreich, die mediane Zeit bis zur Remission betrug 15 Tage für Tocilizumab alleine (n=17), 16 Tage für Tocilizumab plus GK (n=36) und 54 Tage für GK alleine (n=27). Es gab keine neuen Sicherheitssignale während des 3-jährigen Follow-up. Die Autoren folgern, dass ein substanzieller Anteil 12 Monate mit Tocilizumab behandelter Patienten in Remission bleiben und dass im Fall eines Rezidivs (mit dem nach dem Absetzen dennoch in fast 60 % zu rechnen ist) dieses mit Tocilizumab wieder gut beherrschbar ist. In letzterem Fall wird aber geraten, zusätzlich Prednison einzusetzen, um das Risiko für einen Visusverlust zu minimieren. (1)

Nach Absetzen liegt das Rezidivrisiko bei über 50 %

Im Wesentlichen bestätigt werden die GiACTA-Langzeitdaten durch eine retrospektive Real-World-Studie zu 43 mit dem IL6Ri behandelten Patienten mit Fokus auf Steroideinsparung und Rezidivrisiko, die Jérémy Clément, Bordeaux (Frankreich), und Kollegen publizierten. In der multizentrischen Studie kam es bei 72 % der Patienten, die zumindest eine Tocilizumab-Dosis erhalten hatten (median 77 Jahre alt, GK-Dosis 15 mg/Tag) zu einem Rezidiv, definiert als Therapieeskalation (Erhöhung der GK-Dosis, erneute GK-Gabe, Intensivierung einer adjuvanten Therapie). Im Vergleich zum Zeitpunkt vor Studieneinschluss betrug die kumulative GK-Dosis 2,1 vs. 9,4 g/Jahr (p<2,107), wobei 28 % der Patienten auf Tocilizumab ein Rezidiv erlitten. Von 29 Patienten, die Tocilizumab absetzten, kam es bei 62 % zu einem Rezidiv. Mit einem Rezidiv assoziierte Faktoren waren die Gabe von Tocilizumab >6 Monate nach der Diagnose (p=0,005), keine Ischämie-Zeichen bei Diagnosestellung (p=0,006), sowie eine Rezidivrate >0,8/Jahr (p=0,03) und kein GK-Tapering ≤5 mg/Tag (p=0,03) vor dem Einschluss in die Studie. Schwere unerwünschte Ereignisse (UE), darunter 4 Todesfälle, traten bei 42 % der Patienten auf. Letztlich bestätigte sich die Effektivität des IL-6Ri in puncto Steroideinsparung, jedoch kam es bei weniger als 50 % der Patienten nach dem Absetzen zu einer andauernden Remission. Auch die Langzeitverträglichkeit der Therapie muss bei diesem älteren, stark vorbehandelten Patientenkollektiv ins Kalkül gezogen werden. (2)

Welche Patienten profitieren am meisten von der IL-6-Inhibition?

Zurück zu GiACTA: Robert Spiera, New York (USA), und Kollegen untersuchten in einer Post-hoc-Analyse die Effektivität von Tocilizumab bei RZA-Patienten mit alleiniger PMR-Symptomatik, alleinigen kraniellen Symptomen oder beiden Beschwerdebildern in Bezug auf die Remissionsrate, jährliche Rezidivrate, Zeit bis zum Rezidiv, kumulative GK-Dosis, den Einsatz von MTX und die Therapiesicherheit. Zu Baseline wiesen 52 der 250 Teilnehmer nur PMR-Symptome, 94 kranielle Symptome und 104 beide gemeinsam auf. 

In Woche 52 waren die Raten für eine anhaltende Remission in allen drei Gruppen unter Tocilizumab gegenüber Placebo höher (PMR: 45,2 vs. 19,0 %, p=0,0446; kraniell: 60,3 vs. 19,4 %, p=0,0001; PMR und kraniell: 55,0 vs. 11,4 %, p<0,0001). Bei mit Tocilizumab behandelten Patienten kam es in allen drei Gruppen seltener zu einem Rezidiv (PMR: 41,9 vs. 57,1 %; kraniell: 20,7 vs. 47,2 %; PMR und kraniell: 31,7 vs. 81,8 %). Die jährliche Rezidivrate und das Risiko hierfür waren unter Tocilizumab signifikant geringer bei Patienten mit kranieller Symtomatik und bei Mischformen, in der kleineren Gruppe mit PMR-Symptomen war nur ein numerischer Vorteil des IL-6Ri erkennbar. Damit erwies sich Tocilizumab unabhängig vom klinischen Phänotyp als wirksam, mit jedoch – frühere Befunde bestätigend – höherer Wirksamkeit bei Vorliegen (auch) kranieller Symptome. (3)

Nur sehr geringes Risiko für Visusverlust im klinischen Alltag

Eine gefürchtete Komplikation der RZA ist der Verlust des Sehvermögens. Ob und inwieweit Tocilizumab diesbezüglich präventiv wirkt, war bis dato unbekannt. Peter M. Villiger, Bern (Schweiz), und Kollegen gingen dieser Frage nun in einer mit insgesamt 186 Teilnehmern (62 % Frauen, 59 % die ACR-Kriterien erfüllend, 66 % mit mittels MR-Angiografie bestätigter Großgefäßvaskulitis) relativ großen monozentrischen Beobachtungsstudie bei zwischen 2010 und 2018 mit dem Il-6Ri behandelten RZA-Patienten auf den Grund. Die kumulative Dauer der Tocilizumab-Therapie betrug 224 Jahre, im Median war die Behandlungsdauer 11,1 (IQR 5,6-17,9) Monate. GK wurden über median 5,8 (IQR 3,0-8,5) Monate getapert.

Zu Baseline lagen visuelle Symptome bei 38 % der Patienten und ein Visusverlust bei 11 % vor. Letztere Patienten waren bei Studieneinschluss älter (p=0,032), hatten ein niedrigeres CRP (p=0,002) und zeigten eine negative Assoziation mit einer MR-Angiografie der Aorta (p=0,006). Nur zwei Patienten (1,1 %) entwickelten einen Visusverlust, beide zu Beginn der Tocilizumab-Behandlung. Die Inzidenz einer anterioren ischämischen Optikusneuropathie (AION) unter dem IL-6Ri war somit gering und entsprach den Erfahrungen aus historischen Kontrollen mit einer Inzidenz von 0,7-10 % unter einer Standard-GK-Therapie. Inwiefern eine längere Komedikation mit GK in dieser Hinsicht hilfreich ist, bleibt noch offen. (4)

Quellen:
1   Lancet Rheumatol 2021; 3(5): e328-e336
2   J Rheumatol 2021; doi: 10.3899/jrheum.200952 
3   Semin Arthritis Rheum 2021; 51(2): 469-476
4   Arthritis Res Ther 2021; 23(1): 92