ENTZÜNDLICH-RHEUMATISCHE ERKRANKUNGEN

Erweiterte EULAR-Empfehlungen zum kardiovaskulären Risikomanagement

Patienten mit autoimmunen/entzündlich-rheumatischen Erkrankungen (ERE) haben im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, was die EULAR 2010 (mit einem Update in 2015/16) zur Entwicklung von Empfehlungen zum kardiovaskulären (CV-)Risikomanagement bei rheumatoider Arthritis (RA), ankylosierender Spondylitis und Psoriasis-Arthritis veranlasste. Nachdem ein erhöhtes CV-Risiko auch bei allen anderen ERE wie Gicht, Vaskulitiden, systemischer Sklerose (SSc), Myositis, Mischkollagenosen (MCTD), Sjögren-Syndrom (SS), systemischer Lupus erythematodes (SLE) und Antiphospholipidsyndrom (APS) gut dokumentiert ist, entwickelte eine EULAR Task Force um Maria G. Tektonidou, Athen (Griechenland), nun auch entsprechende Empfehlungen für ERE jenseits der entzündlichen Arthritiden.

Die insgesamt 28-köpfige, multidisziplinäre EULAR Task Force (neben Rheumatogen waren unter anderem auch Kardiologen sowie Stoffwechselexperten vertreten) entwickelte ihre evidenzbasierten Empfehlungen zu Prädiktion und Management des CV-Risikos bei Gicht, Vaskulitis, Myositis, MCTD, SS, SLE und APS wie gehabt gemäß den EULAR SOPs auf der Basis eines systematischen Literaturreviews und Expertenmeinung mit Abstimmung und Konsensusbildung in mehreren Task Force-Meetings. Das Ergebnis waren schließlich vier übergreifende Grundsätze („overarching principles“) sowie elf respektive acht spezifische Empfehlungen zu den genannten ERE bzw. SLE/APS, die sich (1) mit den Scores zur CV-Risikoprädiktion, (2) der Beeinflussung traditioneller CV-Risikofaktoren und dann (3) ERE-spezifischer CV-Risikofaktoren befassen. Nicht wenige Empfehlungen basieren dabei auf Expertenmeinung, da es an qualitativ hochwertiger Evidenz mangelte. 

Die Leitsätze zielen auf die Awareness für das erhöhte CV-Risiko von ERE-Patienten ab, darauf (dies dürfte wieder für Diskussionen sorgen) dass primär Rheumatologen für die CV-Risikoerfassung und das Management (im Verbund mit Hausärzten, Internisten und Kardiologen etc.) verantwortlich sind und auf die Erfordernis eines regelmäßigen Screenings bzw. Kontrolle aller Patienten (Rauchstopp, Management von Hypertonie, Diabetes, Lipiden) innerhalb von 6 Monaten nach der Diagnose und danach je nach individuellem Risiko. Last but not least wird auf die Patientenschulung bzw. -beratung (CV-Risiko, Adhärenz, Lebensstil, Essen und körperliche Aktivität) abgezielt.

Empfehlungen zu Gicht, Vaskulitis, SSc, Myositis, MCTD und SS

Für Patienten mit Gicht, Vaskulitis, SSc, Myositis, MCTD und SS wird eine sorgfältige Bestimmung traditioneller CV-Risikofaktoren empfohlen, wozu (in Anbetracht fehlender Evidenz bzw. Validierung spezifischer rheumatologischer Scores) die einschlägigen Tools zur Risikoprädiktion genutzt werden können. Bei ANCA-assoziierten Vaskulitiden (AAV) könnte der Framingham-Score das CV-Risiko nur unzureichend abbilden, weshalb ergänzend das EUVAS-Modell ins Kalkül gezogen werden sollte. Für alle Patienten mit diesen Indikationen sollte das Blutdruck-Management den Empfehlungen für die Allgemeinbevölkerung folgen. Bei Gicht-Patienten sollten Diuretika, und bei SSc-Patienten Betablocker vermieden werden. Analog sollte auch das Lipidmanagement jeweils den Empfehlungen für Allgemeinbevölkerung entsprechen. Der generelle Einsatz von Plättchenhemmern zur Primärprävention wird nicht empfohlen, die Behandlung damit sollte den Empfehlungen für die Allgemeinbevölkerung folgen. Bei Gicht-Patienten wird ein Serum-Harnsäurespiegel <0,36 mmol/l (6 mg/dl) empfohlen, um potenziell das Risiko für CV-Ereignisse und -Mortalität zu reduzieren. Aus kardiovaskulärer Sicht gibt es keine Präferenz für eine bestimmte harnsäuresenkende Therapie. Bei Patienten mit AAV wird festgestellt, dass Remissionsinduktion und -erhaltung zugleich das CV-Risiko senken. Bei Patienten mit Riesenzellarteriitis kann ein optimiertes Glukokortikoid (GK)-Regime, das das Rezidivrisiko und GK-Nebenwirkungen gut ausbalanciert, auch das CV-Risiko senken. 

Spezifische Empfehlungen für SLE und APS

Bei Patienten mit SLE und/oder APS wird eine sorgfältige Bestimmung traditioneller und spezifischer CV-Risikofaktoren empfohlen, wonach deren Modifizierung ausgerichtet werden sollte. Bei SLE-Patienten sind niedrigere Blutdruckspiegel mit niedrigeren Raten an CV-Ereignissen assoziiert, daher sollte ein Zielblutdruck <130/80 mmHg erwogen werden. Bei allen Patienten mit Lupusnephritis und zugleich einer Eiweißausscheidung im Urin (UPCR) >500 mg/g oder arterieller Hypertonie werden ACE-Hemmer oder AT1-Antagonisten empfohlen. Bei Patienten mit APS sind beim Blutdruck-Management die Empfehlungen für die Allgemeinbevölkerung anzuwenden, bei solchen mit SLE und/oder APS gilt selbiges in Bezug auf das Lipidmanagement. Patienten mit SLE können Kandidaten für präventive Strategien wie in der Allgemeinbevölkerung sein, inklusive niedrig-dosiertem ASS, basierend auf dem individuellen CV-Risikoprofil. Bei asymptomatischen aPL-Trägern (d. h. keinerlei vaskulären/geburtshilflichen APS-Klassifikationskriterien erfüllend) mit Hochrisiko-aPL-Profil mit/ohne traditionellen CV-Risikofaktoren wird eine Prophylaxe mit niedrig-dosiertem ASS (75-100 mg/Tag) empfohlen. Bei SLE-Patienten ohne Vorgeschichte einer Thrombose oder Schwangerschaftskomplikationen wird im Falle eines Hochrisiko-aPL-Profils ebenfalls eine Prophylaxe mit niedrig-dosiertem ASS empfohlen, bei einem Niedrigrisiko-aPL-Profil kann eine solche erwogen werden.

Bei Patienten mit SLE sollte eine niedrige Krankheitsaktivität auch zur Reduktion des CV-Risikos erhalten werden. Dabei wird die niedrigste mögliche GK-Dosis zur Minimierung potenzieller CV-Schädigungen empfohlen. Zum Zweck der Reduktion von CV-Ereignissen kann keine spezifische immunsuppressive (IS)-Therapie empfohlen werden. Eine Therapie mit Hydroxychloroquin (HCQ), die ohnehin bei allen SLE-Patienten außer solchen mit einer Kontraindikation empfohlen wird, sollte zusätzlich auch zur Reduktion des Risikos für CV-Ereignisse erwogen werden.

Take-home-Messages

Die EULAR-Empfehlungen bieten einen guten Überblick zum Vorgehen bei ERE-Patienten mit Gicht, Vaskulitiden und Kollagenosen – vieles davon setzen deutsche Rheumatologen ohnehin in der täglichen Praxis um. Da es an validierten rheumatologischen Risikoscores mangelt, werden die üblichen generischen Scores empfohlen. Wichtige praktische Punkte sind der Verzicht auf Diuretika bei Gicht und auf Betablocker bei SSc, sowie das Erwägen eines Blutdruckziels <130/80 mmHg bei SLE. Das Lipidmanagement orientiert sich an den allgemeinen Empfehlungen, der Einsatz von Plättchenhemmern bei Großgefäßvaskulitiden, SLE und APS an den entsprechenden früheren EULAR-Empfehlungen. Ein Serum-Harnsäurespiegel <6 mg/dl wird bei Gicht, eine gute Krankheitskontrolle und minimierte GK-Dosen werden bei SLE und Vaskulitis empfohlen. HCQ wird bei SLE auch zur Reduktion des CV-Risikos empfohlen, während kein spezifisches Immunsuppressivum bei SLE und kein Harnsäuresenker bei Gicht mit einem niedrigeren CV-Risiko assoziiert ist.         

Quelle: Ann Rheum Dis 2022; doi: 10.1136/annrheumdis-2021-221733