Frau Prof. Funken, unterscheidet sich die heutige Arbeitswelt, z. B. der Klinik und der ärztlichen Praxis, von der früheren?
Natürlich, Prozesse wie Digitalisierung, fundamentaler Personalmangel, veränderte Erwartungshaltungen der Beschäftigten, sowie neue Anforderungen durch New Leadership und Diversität, Gleichberechtigung & Inklusion machen auch vor den Kliniken und Arztpraxen nicht Halt. Dieses ist Fakt!
Wenn sich die Arbeitswelt verändert, welche Folgen hat dies für die Betroffenen?
Um Beschäftigte nicht nur zu werben, sondern auch zu binden, ist eine neue Führungs- und Arbeitskultur notwendig. Gerade in den Kliniken herrschen häufig noch autoritäre Strukturen und Kulturen, d. h. hierarchische und bürokratische Abläufe, die den zügigen und patientenorientierten Prozess – ich möchte fast sagen – blockieren bzw. nicht weiterentwickeln. Gleichzeitig haben sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verändert. D. h., die Erwartungshaltungen der Beschäftigten an ihre Arbeit, z. B. in Bezug auf Autonomie, Mitspracherecht, flexible Arbeitszeiten oder Work-Life-Balance, werden immer selbstbewusster eingefordert. Dies gilt vor allem für die dringend benötigten heranwachsenden Ärztegenerationen. Besonders beim Fachkräftemangel in der Medizin haben sich die Kräfteverhältnisse geändert, was im Sinne einer gesicherten Patientenversorgung zu begrüßen ist.
Was die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte und damit ja auch Unternehmerinnen und Unternehmer betrifft, so finden wir häufig ähnliche Strukturen, wobei ein niedergelassener Arzt bzw. eine Ärztin ja im Prinzip aus sich heraus, zum Teil autodidaktisch, Abläufe, Strukturen und unternehmerische Konzepte entwickeln muss oder müsste.
Hierbei ist zu betonen, dass die Zahl der Praxisinhaberinnen gestiegen ist. Die Medizin ist eindeutig weiblicher geworden. Dies betrifft insbesondere Personalentwicklungen, wobei immer noch primär Frauen das Assistenzpersonal stellen. Dabei sprechen wir auch von Frauen, die zum Teil alleinerziehend sind, bei denen also die Teilzeitfrage von Bedeutung ist.
Entsprechen diese neuen Anforderungen auch den Erwartungshaltungen vieler Frauen?
Ja, denn die Arbeits- und Lebensentwürfe der jüngeren Frauen unterscheiden sich nicht mehr von den Erwartungen ihrer männlichen Kollegen. Auch Frauen wollen ein sinnerfülltes und zukunftsorientiertes Berufs- und Privatleben führen. Dies ist nicht nur gerecht, sondern auch die einzige Lösung, den katastrophalen Fachkräftemangel zu bewältigen. Allerdings werden vielen engagierten Ärztinnen und Pflegekräften immer noch „Steine in den Weg gelegt“, z. B. durch mangelnde Wertschätzung, unflexible Arbeitszeiten, Mobilitätsdruck oder auch Misstrauen in ihre Führungsstärke. Die Doppelbelastung von Berufs- und Familienleben zwingt sie obendrein bis an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit, leider auch häufig darüber hinaus.
Welche Veränderungen sind dann in einer niedergelassenen Praxis notwendig?
Erfolgreiche und gute Gesundheitsversorgung misst sich an der Qualität der Personalleistung. Im Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte gewinnen diejenigen, die den Beschäftigten Arbeitsbedingungen zur Verfügung stellen, die ihren Bedürfnissen entsprechen. Dabei geht es vornehmlich um Sinnhaftigkeit, Potentialentfaltung, Work-Life-Balance, Eigenverantwortung und flexiblere Arbeitsgestaltung.
Auch in Arztpraxen lassen sich Prozesse flexibilisieren. Gerade bürokratische Aufgaben oder z. B. auch Laborbesprechungen können von zu Hause erledigt werden, ebenso wie die Kommunikation mit den Patientinnen und Patienten oder das Schreiben von Berichten etc.
Frau Prof. Funken, haben Sie vielen Dank für das Gespräch!
Quelle: SHECONOMY – Warum die Zukunft der Arbeitswelt weiblich ist, Christiane Funken, C. Bertelsmann Verlag, München, 2016: 55