Entzündlich-rheumatische Erkrankungen und COVID-19: Erste Einblicke in die Daten des COVID19-Rheuma-Registers

Dr. med. Rebecca Hasseli

Dr. med. Rebecca Hasseli

Seit  dem 11. März 2020 spricht die WHO (World Health Organisation) von einer Coronavirus-Pandemie. Das erste Auftreten wurde im Dezember 2019 in der Millionenstadt Wuhan in der Provinz Hubei (China) dokumentiert. Verursacht wird die seitdem als Coronavirus-Krankheit 2019 (COVID-19) bezeichnete Infektion durch das neuartige (‚2‘), ein schweres, akutes respiratorisches Syndrom auslösendes Corona-Virus 2, abgekürzt SARS-CoV-2. 

Die Erkrankung manifestiert sich als Infektion der Atemwege mit den Leitsymptomen Fieber und Husten. Bei 81 % Patienten ist der Verlauf mild, 14 % erkranken schwer und 5 % der Patienten kritisch. (1) Am Stichtag 11. Juni 2020 meldete die Johns-Hopkins-Universität bereits 7.360.239 weltweit registrierte Infektionsfälle. Die Letalität lag zu diesem Zeitpunkt der Pandemie bei 5,65 % (n=416.201 an COVID-19 Verstorbene). (2) Das Vorhandensein und die Zahl von Komorbiditäten (wie Diabetes mellitus, arterielle Hypertonie und koronare Herzerkrankungen) sind mitentscheidend für das Outcome der Patienten. (3)

Trotz vieler klinischer Parallelen zu einer viralen Infektion der oberen und unteren Atemwege mit Influenzaviren oder bekannten Coronaviren, wie SARS (schweres akutes respiratorisches Syndrom) oder MERS (Middle East Respiratory Syndrome), welche mit einer COVID-19 vergleichbaren initialen Klinik (Husten, Fieber, Cephalgien und Myalgien), demselben Übertragungsweg (Tröpfcheninfektion) und der sehr variablen Symptomatik von symptomlos bis zu kurzen letalen Verläufen einhergehen, gab es bis zu dieser Pandemie keine Handlungsempfehlungen basierend auf evidenzbasierten Daten für Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen. Dasselbe galt für die Bedeutung oder den Einfluss einer dauerhaften immunsuppressiven oder immunmodulierenden Therapie bei diesen Patienten. 

Die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) veröffentlichte am 30. März 2020 erste, konsentierte Handlungsempfehlungen für die Betreuung von Patienten mit rheumatischen Erkrankungen während der COVID-19-Pandemie. (4) Neben den allgemeingültigen Schutzmaßnahmen wurden ein generelles Pausieren oder eine Reduktion der antirheumatischen Therapie wegen der COVID-19-Pandemie nicht empfohlen. In erster Linie sollte mithilfe der antirheumatischen Therapie eine klinische Remission der Grunderkrankung erzielt werden, unter anderem um hohe Steroiddosen zu vermeiden und so das Infektionsrisiko zu minimieren. Dies setzt, neben einer adäquaten und engmaschigen rheumatologischen Betreuung, auch eine entsprechende Compliance der Patienten voraus. 

Aufbau, Datenerfassung und Ablauf des Registers

Um Erkenntnisse zum adäquaten Umgang mit der immunmodulatorischen Therapie bei Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen im Kontext der COVID-19-Pandemie zu gewinnen, sind Registerdaten mit einer hohen Fallzahl notwendig. Diese würden erlauben, das Risiko für einen komplikativen Verlauf einer COVID-19-Infektion bei Patienten mit einer entzündlich-rheumatischen Erkrankung oder mit einer bestimmten Therapie abzuschätzen. 

Diverse Literaturquellen weisen auf eine erhöhte Infektionsneigung von Patienten mit rheumatologischen Erkrankungen oder immunsuppressiven Therapien hin. (5, 6) Die Daten anderer Länder unterscheiden sich teilweise stark in der Anzahl der letalen und komplikativen Verläufe, abhängig vom jeweiligen Gesundheitssystem und den Bedingungen der medizinischen Versorgung vor Ausbruch der Pandemie. (2)

Aus diesem Grund initiierte die DGRh mit der Justus-Liebig-Universität Gießen ein Online-Register (www.covid19-rheuma.de),mit dessen Hilfe nachgewiesene COVID-19-Infektionen bei Patienten mit entzündlich-rheumatischen Patienten innerhalb weniger Minuten erfasst werden können. Aus den gewonnenen Daten sollen schnellstmöglich Handlungsempfehlungen für die Betreuung entzündlich-rheumatischer Patienten abgeleitet werden.

Im Register werden u. a. folgende Aspekte erfasst: Bundesland, Alter, Geschlecht, Gewicht, Größe, Komorbiditäten, Krankheitsaktivität und antirheumatische Therapie zum Zeitpunkt der SARS-CoV-2-Infektion und deren Verlauf. Die dokumentierenden Ärztinnen und Ärzte haben die Möglichkeit, ausstehende Daten (z. B. zum Ausgang der COVID-19) zu einem späteren Zeitpunkt zu komplettieren. 

Die Datenbank ist SQL-basiert und wird auf einem deutschen Server geführt, der DIN/ISO/IEC 27001 zertifiziert ist. Die Datenübertragung erfolgt über ein abhörsicheres Internet-Protokoll (https), das Daten zwischen Browser und Server in beide Richtungen verschlüsselt (SSL/TLS) überträgt. Die Ärzte vergeben selbst ein Pseudonym für den Patienten, mit dessen Hilfe dessen Daten nur durch den jeweils verantwortlichen Arzt wieder aufgerufen und aktualisiert werden können. Die für Analysen aus der Datenbank exportierten Daten sind anonym und lassen keine individuellen Rückschlüsse auf den Patienten zu. 

Zudem haben COVID-19-Patienten mit einer entzündlich-rheumatischen Erkrankung selbst die Möglichkeit, sich registrieren zu lassen, z. B. falls eine ärztliche Vorstellung derzeit nicht möglich ist. Mithilfe eines Telefoninterviews werden die Daten durch eine/n Rheumatologen/in der Koordinationsstelle des COVID19-Rheuma-Registers in die Datenbank eingetragen. 

Am 30. März 2020 ging das Register online. Die teilnehmenden Zentren bestehen aus Kliniken und Praxen in ganz Deutschland. Bis zum 25. April 2020 hatten sich bereits 138 Rheumatologinnen und Rheumatologen auf der Plattform registriert, wovon 71 bis dahin insgesamt 104 Fälle (40 männlich, 63 weiblich und 1 divers) dokumentierten. 

Die Patienten waren zwischen 23-87 Jahre (Altersmedian 56 Jahre) alt, die meisten (24 %) zwischen 50-59 Jahre. Zwei Drittel der Patienten wurden durch ambulant tätige Kolleginnen und Kollegen dokumentiert, 32 % durch Kliniken und 6 % der Patienten wurden mithilfe des Telefoninterviews registriert. Ähnlich wie die COVID-19-Infiziertenzahl in der Allgemeinbevölkerung wurden die meisten Fälle in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Bayern und Hamburg erfasst. 

Erste Erkenntnisse zu Diagnosen, Medikation und Komorbiditäten

Bezüglich der Diagnosen zeigt sich folgende Verteilung: 45 % der Patienten wiesen eine rheumatoide Arthritis auf, 18 % eine Psoriasis-Arthritis, 10 % eine Spondylitis ankylosans und 5 % eine systemische Sklerose. Die Verteilung der restlichen entzündlich-rheumatischen Erkrankungen lag bei unter 5 %.

Vor der COVID-19-Infektion wurden die Patienten in 34 % der Fälle mit einem konventionellen Basismedikament, in 18 % mit einer Kombination von konventionellen Basismedikament und Biologikum und in 24 % nur mit einem Biologikum therapiert. Glukokortikoide wurden bei 43 % der Patienten eingesetzt. Lediglich 8 % der Patienten erhielten keine immunmodulierende Therapie.

Bei 59 % der Patienten wurden relevante Begleiterkrankungen erfasst. Diese beinhalteten arterielle Hypertonie (37 %), kardiovaskuläre Begleiterkrankungen (13 %), Diabetes mellitus und Asthma bronchiale (jeweils 9 %), chronisch obstruktive Lungenerkrankung und chronische Niereninsuffizienz (jeweils 8 %), Osteoporose (6 %), Tumorerkrankung (5 %), interstitielle Lungenerkrankung (2 %) und pulmonal arterielle Hypertonie (1 %). Bei 15 % der Patienten lagen andere Vorerkrankungen vor. Ein Drittel der Patienten litt unter mehr als zwei Begleiterkrankungen. Keine (relevanten) Begleiterkrankungen wurden bei 41 % der Patienten dokumentiert.

Bezüglich der empfohlenen Impfungen war bei 39 % der Patienten eine Influenza-Impfung erfolgt, 26 % waren gegen Pneumokokken geimpft und 22 % erhielten beide Impfungen. Tabakkonsum wurde bei 10 % der Patienten berichtet, E-Zigaretten bei 1 % und 8 % gaben regelmäßigen Alkoholkonsum an.

COVID-19-Symptomatik und -Verlauf im Überblick

Im Rahmen der COVID-19-Infektion wurden folgende Symptome beschrieben: Husten (69 %), Fieber (59 %), Fatigue (42 %), Kopfschmerzen (36 %), Myalgien (33 %), Dyspnoe (32 %), Geruchsverlust (26 %), Geschmacksverlust (25 %), Rhinitis (23 %), Appetitlosigkeit (16 %), Schwindel (15 %), Diarrhoe (15 %), Auswurf (13 %), Bauchschmerzen (3 %) und Erbrechen (3 %). Die meisten Patienten (86 %) litten an mehr als zwei Symptomen, wohingegen bei 7 % asymptomatische Verläufe beschrieben wurden.

Ein Drittel der Patienten wurde stationär betreut (32 %), wovon 70 % (23/33) eine Sauerstofftherapie benötigten. 15 % (5/33) wurden nicht-invasiv und 24 % (8/33) invasiv beatmet. Lediglich 2 der invasiv beatmeten Patienten erholten sich von der COVID-19-Infektion. Leider verstarben 6 Patienten (3 männlich/3 weiblich). Der Altersmedian der letalen Verläufe lag bei 71 Jahren (59-80 Jahre) und der BMI bei 27,8 kg/m2(23,9-40,6 kg/m2). Alle verstorbenen Patienten wiesen zumindest eine arterielle Hypertonie und/oder kardiovaskuläre Erkrankungen auf und mussten invasiv beatmet werden. 5 Patienten erhielten eine Prednisolontherapie (≤7,5 mg/Tag), welche während der Infektion bei 4 der Patienten nicht pausiert wurde. 

Die stationär behandelten Patienten waren durchschnittlich älter als die ambulanten Patienten (Medianalter 69 Jahre vs. 52 Jahre). Obwohl mehr Fälle bei weiblichen Patienten (62 %) im Register dokumentiert wurden, war die Verteilung der hospitalisierten Patienten bei beiden Geschlechtern (48 % männlich, 52 % weiblich) beinahe gleich. Hospitalisierte Patienten wurden häufiger mit Glukokortikoiden (64 % vs. 34 %) therapiert und erhielten weniger häufig Biologika (33 % vs. 48 %). Sie wiesen zudem mehr Begleiterkrankungen auf (48 % vs. 21 %).

Bereits gute Beteiligung an Patientenregister

Neben diesem Register zur Erfassung von COVID-19 bei Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen („Arztregister“) wurde ein weiteres, sog. „Patientenregister“ initiiert, um den psychosozialen Einfluss der Pandemie bei rheumatologischen Patienten zu untersuchen. Hierfür wurde gemeinsam mit dem Fachbereich der klinischen Psychologie der Justus-Liebig-Universität Gießen ein Online-Fragebogen erstellt (www.covid19-rheuma.de/patienten-information). 

Über einen Zeitraum von 12 Monaten erfolgt im monatlichen Abstand eine kurze Befragung zum Einfluss der Pandemie auf die Erkrankung, sowie auf die privaten und beruflichen Lebensverhältnisse. Mithilfe der Umfrage soll ein besseres Verständnis für die Sorgen und Ängste der Patienten gewonnen werden. Es wird dabei auch untersucht, ob die Patienten ausreichend informiert sind und wo die Versorgung ggf. verbessert werden könnte. 

Bis zum 24. Mai 2020 hatten bereits 343 Patienten an der Umfrage teilgenommen. Lediglich zwei der Patienten waren positiv auf eine COVID-19-Infektion getestet worden. Die Mehrheit der Patienten gab bislang an, den rheumatologischen Empfehlungen zu folgen und die antirheumatische Therapie fortzuführen. Diese Einstellung der Patienten war unabhängig von der jeweiligen antirheumatischen Therapie. 

Dieses Ergebnis ist aus rheumatologischer Sicht erfreulich, spiegelt es doch die vertrauensvolle und kompetente Betreuung der rheumatologischen Patienten wider und zeigt, dass trotz der aktuellen Krisensituation die Rheumapatienten unseren Empfehlungen folgen.

Literatur
1 Wu Z, McGoogan JM. Characteristics of and Important Lessons From the Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) Outbreak in China: Summary of a Report of 72 314 Cases From the Chinese Center for Disease Control and Prevention. JAMA 2020; 323(13): 1239-1242

2J ohn Hopkins University & Medicine. Coronavirus Resource Center. coronavirus.jhu.edu/map.html


3 Guan W-J, Ni Z-Y, Hu Y, Liang W-H, Ou C-Q, He J-X, et al. Clinical Characteristics of Coronavirus Disease 2019 in China. N Engl J Med 2020; 382(18): 1708-1720
4 Schulze-Koops H, Specker C, Iking-Konert C, Holle J, Moosig F, Krueger K. Preliminary recommendations of the German Society of Rheumatology (DGRh eV) for the management of patients with inflammatory rheumatic diseases during the SARS-CoV-2/Covid-19 pandemic. Ann Rheum Dis 2020; doi: 10.1136/annrheumdis-2020-217628
5 Doran MF, Crowson CS, Pond GR, O'Fallon WM, Gabriel SE. Frequency of infection in patients with rheumatoid arthritis compared with controls: a population-based study. Arthritis Rheum 2002; 46(9): 2287-2293
6 Hui DS, Azhar EI, Kim Y-J, Memish ZA, Oh M-D, Zumla A. Middle East respiratory syndrome coronavirus: risk factors and determinants of primary, household, and nosocomial transmission. Lancet Infect Dis 2018; 18(8): e217-e227

 

Aktueller Stand des Registers

Zum Stichtag 11. Juni sind inzwischen, trotz insgesamt abnehmender Infiziertenzahl, 258 Patienten mit positivem SASRS-CoV-2-Test im COVID-19-Rheuma-Register erfasst worden, von denen 200 wieder genesen sind. An der Patientenbefragung haben mittlerweile 508 Patienten teilgenommen.

 

Dr. med. Rebecca Hasseli
Abteilung für Rheumatologie und 
Klinische Immunologie
Campus Kerckhoff, 
Justus-Liebig-Universität Gießen
Benekestraße 2-8
61231 Bad Nauheim
E-Mail: r.hasseli(at)kerckhoff-klinik.de