MEDIZINRECHT

DIE NACHWIRKENDE PFLICHT, BEFUNDE WEITERZULEITEN

Der Bundesgerichtshof (BGH) musste sich mit der Frage beschäftigen, wer der Behandler für die Weiterleitung wichtiger Befunde verantwortlich ist.

In der Rheuma Management-Ausgabe 5-2018 bereits kurz berichtet, wird das nachfolgende Urteil aufgrund seiner Relevanz noch einmal ausführlich aufgegriffen: Befindet sich ein Patient bei mehreren Ärzten und Krankenhäusern in Behandlung, so werden die entsprechenden Informationen oft nur zwischen den behandelnden Ärzten ausgetauscht. Hingegen werden Arztbriefe oft nicht an den Patienten weiter übermittelt. Der Bundesgerichtshof (BGH) musste sich nun in seiner Entscheidung vom 26.06.2018 – VI ZR 285/17 mit der Frage beschäftigen, wer für die Weiterleitung wichtiger Befunde verantwortlich ist.

Sachverhalt

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Patient hatte seine langjährige Hausärztin wegen eines Behandlungsfehlers auf Schmerzensgeld und Schadensersatz verklagt. Allein sie hatte von einer Klinik erfahren, dass eine operativ entfernte Geschwulst ein bösartiger Tumor war, und dies dem Patienten nicht mitgeteilt. Die Hausärztin verteidigte sich damit, dass sich der Patient zu diesem Zeitpunkt schon lange nicht mehr in ihrer Behandlung befunden habe.

Die Entscheidung

Diese Argumentation ließ der BGH nicht gelten. Im Rahmen seiner Entscheidung konkretisierte er dabei die Anforderungen an die Informationspflicht, die nicht nur für den Hausarzt, sondern auch für den Facharzt bedeutsam sind.

Pflicht zur Einbestellung

Zunächst hat ein Arzt sicherzustellen, dass der Patient von Arztbriefen mit bedrohlichen Befunden – und ggf. von der angeratenen Behandlung – Kenntnis erhält. Damit hat der Arzt die Pflicht, den Patienten unter kurzer Mitteilung des neuen Sachverhaltes einzubestellen, wenn:

  • der behandelnde Arzt einen Arztbericht erhält, 
  • in dem für die Weiterberatung und Weiterbehandlung des Patienten neue bedeutsame Untersuchungsergebnisse enthalten sind,  und
  • diese eine alsbaldige Vorstellung des Patienten bei dem Arzt unumgänglich machen. 

Dabei kommt es nicht darauf an, ob außer dem behandelnden Arzt vielleicht auch andere Ärzte etwas versäumt haben. Zwar geht durch eine Überweisung an ein Krankenhaus grundsätzlich die Verantwortung für die Behandlung auf die Ärzte des Krankenhauses über. Das gilt aber nicht uneingeschränkt. So hat etwa der weiterbehandelnde Arzt von ihm erkannte oder ihm ohne weiteres erkennbare gewichtige Bedenken gegen Diagnose und Therapie anderer Ärzte mit seinem Patienten zu erörtern. Auch darf kein Arzt, der es besser weiß, sehenden Auges eine Gefährdung seines Patienten hinnehmen, wenn ein anderer Arzt seiner Ansicht nach etwas falsch gemacht hat oder er jedenfalls den dringenden Verdacht haben muss, es könne ein Fehler vorgekommen sein. Das gebietet der Schutz des dem Arzt anvertrauten Patienten.

Ende des Behandlungsverhältnisses unerheblich 

Des Weiteren kommt es nach Auffassung des Bundesgerichtshofs nicht darauf an, ob noch ein Behandlungsverhältnis bestand. Den Arzt trifft insoweit eine aus dem Behandlungsvertrag nachwirkende Schutz- und Fürsorgepflicht

Soweit dem Arzt also erkennbar ist, dass er als einziger die Information bekommen hat, muss er auch bei Beendigung des Arzt-Patienten-Verhältnisses den Informationsfluss aufrechterhalten. Gleiches gilt, wenn sich aus der Information selbst, z. B. aus dem Adressatenfeld des Arztbriefes, nicht eindeutig ergibt, ob der Patient oder die anderen weiterbehandelnden Ärzte den Arztbrief erhalten haben. Im vorliegenden Fall ergaben sich solche Anhaltspunkte. Der konkrete Arztbrief war allein an die Hausärztin gerichtet und enthielt folgende unmittelbar an sie gerichtete Handlungsaufforderung: „Wir bitten, den Patienten ... vorzustellen“. Dem konnte die beklagte Hausärztin unschwer entnehmen, dass die behandelnden Ärzte des Klinikums sie als weiterbehandelnde Ärztin ansahen.

Kompakt

Folgende Lehre muss aus dieser Entscheidung gezogen werden: Erhält ein Arzt einen ärztlichen Befund und ist das Behandlungsverhältnis beendet, darf der Arztbrief nicht einfach abgeheftet werden. Insbesondere bei Befunden, die ein ärztliches Handeln fordern, ist zu prüfen, ob der Brief nur an den Arzt alleine adressiert ist oder ob er nachrichtlich noch an andere weitergeleitet wurde. Damit die Information nicht in einer Sackgasse landet, sollte die Information im Zweifel an den Patienten weitergeleitet werden, auch wenn sich dieser nicht mehr in Behandlung des Arztes befindet. 

Rechtsanwalt Christian Koller
Fachanwalt für Medizinrecht
Kanzlei Tacke Krafft
Rindermarkt 3 und 4
80331 München
Mail: christian.koller@tacke-krafft.de