COVID-19-Schutzschirm: Ausreichende Sicherstellung der Vergütung oder bestehender Handlungsbedarf?

Rechtsanwältin Dr. Julia Gräf

Rechtsanwältin Dr. Julia Gräf

Angesichts der Corona-Pandemie sind in vielen Praxen die Fallzahlen zum Ende des ersten sowie Anfang des zweiten Quartals 2020 drastisch gesunken. Um die damit verbundenen wirtschaftlichen Folgen für Vertragsärzte abzumildern, hat der Gesetzgeber im Zuge des zum 27.03.2020 in Kraft getretenen Gesetzes zum Ausgleich COVID-19 bedingter finanzieller Belastungen der Krankenhäuser und anderer Gesundheitseinrichtungen (COVID-19 -Krankenhausentlastungsgesetz) die gesetzliche Grundlage für mögliche Ausgleichszahlungen sowie die zur Sicherstellung einer ausreichenden Vergütung erforderlichen Anpassungen im jeweiligen Honorarverteilungsmaßstab (HVM) getroffen. Der damit auf Länderebene verbundene Gestaltungsspielraum der KVn könnte Anlass geben, die Abrechnung für die betroffenen Quartale einer genaueren Prüfung zu unterziehen.

Grundsatz: Unveränderte Auszahlung der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV)

Die gesetzlichen Krankenkassen zahlen trotz pandemiebedingt reduzierter Leistungsmengen die MGV in der regulären Höhe an die KVn aus. Damit steht im gleichen Umfang wie zuvor Geld für die Versorgung gesetzlich-versicherter Patienten zur Verfügung. Ebenso bleiben die Abschlagszahlungen für die einzelnen Praxen zunächst unverändert. Dadurch wird, obwohl weniger Patienten eine Behandlung in Anspruch genommen haben, nahezu Zweidrittel der Vergütung im bisherigen Umfang abgesichert. 

Ob das Honorar auch im Zuge der Abrechnung unverändert erhalten bleibt, ist nach dem Gesetzestext davon abhängig, ob eine Fallzahlminderung in einem Umfang eingetreten ist, welche die Fortführung der Praxis gefährden würde. Wann dies konkret der Fall ist, ist im Einzelfall noch offen. Die KVn bekräftigen zwar jeweils das Ziel, die gesamte MGV an die Praxen auszuzahlen. Nach welchen Mechanismen dies geschehen soll, wird derzeit auf Landesebene mit den Krankenkassen verhandelt und sodann in den entsprechenden HVM geregelt. 

Ausgleichszahlungen für extrabudgetäre Leistungen bei pandemiebedingten Rückgang

Hinsichtlich der Verluste bei extrabudgetären Leistungen (etwa Früherkennungsuntersuchungen, Impfungen, ambulante Operationen) sind Ausgleichszahlungen vorgesehen, die allerdings an weitere Voraussetzungen geknüpft sind. So setzen diese voraus, dass die Praxis bezogen auf ihr Gesamthonorar einen Verlust von 10 % bzw. einen pandemiebedingten Fallzahlrückgang erlitten hat, der die Fortführung der Arztpraxis gefährdet. Als Vergleichszeitraum wird dabei die Honorarhöhe des jeweiligen Vorjahresquartals genommen. Entsprechende Ausgleichszahlungen verringern sich, soweit die Praxis daneben Zahlungen nach § 56 Infektionsschutzgesetz (IfSG) oder finanzielle Hilfen aufgrund anderer Anspruchsgrundlagen erhalten hat.

Perspektivisch – Überprüfung der Honorarbescheide auf Grundlage der neuen HVM-Regelungen 

Wie unterschiedlich die entsprechenden Regelungen in den einzelnen HVM ausfallen können, zeigen die bereits vereinzelt in angepasster Fassung verfügbaren HVM, etwa der KV Baden-Württemberg (HVM ab 01.01.2020 bzw. 01.04.2020, jeweils § 16) oder der KV Schleswig-Holstein (HVM ab 01.04.2020, Allgemeine Bestimmung, Ziff. 2 Abs. 3 bis 9). 

Die KV Baden-Württemberg wendet dabei einen einheitlichen Mechanismus zur Ermittlung der Höhe der entsprechenden Ausgleichszahlung sowohl für die MGV als auch für die außerbudgetäre Vergütung an. Danach ist ein existenzbedrohender Honorarverlust bei einem pandemiebedingten Rückgang des Gesamthonorars von 10 % gegenüber dem Vorjahresquartal anzunehmen. Daneben regelt der HVM detailliert, welche Leistungen für die Bestimmung des Honorarrückgangs unberücksichtigt bleiben sollen sowie dass für die Ermittlung der rückläufigen Anzahl an persönlichen Arzt-/Patientenkontakten nur Behandlungsfälle berücksichtigt werden, in denen eine Versicherten-/Grund- oder Konsiliarpauschale abgerechnet wurde. Weiter wird die Erfüllung der gesetzlich vorgeschriebenen Mindestsprechstundenzahl für eine Ausgleichszahlung vorausgesetzt und Sonderregelungen für Neupraxen ohne Referenzquartal sowie Änderungen bei der Anzahl der Versorgungsaufträge getroffen. Der Höhe nach werden die entsprechenden Ausgleichzahlungen auf maximal 90 % des Honorar des Vorjahresquartals begrenzt und die gesetzlich vorgesehene Anrechnung von Entschädigungen nach dem IfSG und anderer finanzieller Hilfen vorgesehen. 

Demgegenüber wirken die Regelungen der KV Schleswig-Holstein etwas rudimentärer, auch wenn dort zumindest in Bezug auf den Ausgleich für den Rückgang der außerbudgetären Vergütung noch auf eine gesonderte Vereinbarung mit den Krankenkassen verwiesen wird. Interessant ist, dass grundsätzlich zwar auch hier die Ausgleichszahlung auf 90 % der Honorarhöhe des Vorjahres begrenzt wird. Ab dem 1. Mai 2020 kann das MVG-Honorar aber auf bis zu 100 % erhöht werden, soweit die Praxis regelmäßige Infektionssprechstunden anbietet. Inwieweit der dafür vorgesehene Sprechstundenumfang (im hausärztlichen Bereich grundsätzlich täglich eine Stunde sowie im fachärztlichen Bereich mindestens fünf Stunden pro Woche) wirklich praxistauglich ist, bleibt abzuwarten. 

Der COVID-19-Schutzschirm sichert somit die Liquidität der Praxen. Er kann aber auch dazu führen, dass mit Erlass des Honorarbescheides Honorar wieder zurückgefordert wird, z. B. weil der ermittelte Honorarverlust nicht drastisch genug ist oder die Mindestsprechstunden nicht eingehalten worden sind. 

Es ist deshalb zu empfehlen, die Abrechnung Ihrer Praxis ab dem Quartal 1/2020 anhand der neuen „Corona-Regelungen“ im HVM genau zu überprüfen. Die entsprechenden Regelungen sind aktuell bis zum 31.12.2020 befristet. 

Rechtsanwältin Dr. Julia Gräf 
Fachanwältin für Medizinrecht
Kanzlei Tacke Krafft
Rindermarkt 3 und 4
80331 München
Mail: julia.graef@tacke-krafft.de