CHANCENGLEICHHEIT IN DER RHEUMATOLOGIE

Wie ist sie in der Niederlassung umsetzbar?

Dr. Silke Zinke

Dr. Silke Zinke

Feststellbar ist, die Medizin wird weiblicher. Seit 20 Jahren nimmt die Zahl der Studentinnen zu. Inzwischen sieht man, dass die Frauen in der Versorgung angekommen sind. Diesem Umstand und weiter bestehenden Problemen Rechnung tragend, gab es auf dem DGRh-Kongress 2022 in Berlin eine eigene Session „Chancengleichheit in der Rheumatologie – wie ist sie umsetzbar in.....“. Aus gegebenem Anlass sei hier im Besonderen auf den niedergelassenen Bereich eingegangen.

Wie sieht es in der Rheumatologie aus?

Seit 1996 nahm die Zahl der Rheumatologinnen leicht zu, schauen wir auf die Zahlen von 2020/2021, so haben die Frauen in der Rheumatologie einen Anteil von 40 %. Der Blick in die Entwicklung niedergelassener und angestellter Rheumatologinnen und Rheumatologen zeigt, dass immer noch mehr Männer niedergelassen sind und bei den Frauen ist zu erkennen, dass sie hälftig angestellt und niedergelassen sind.

Seit 2006 – so die Zahlen der Bundesärztekammer (BÄK) 2021 – nimmt die Zahl der Anstellungen in der Medizin insgesamt steil zu. In der Rheumatologie – vergleichen wir die Zahlen von 2006 bis 2020 - befinden sich ca. 60 % in der Niederlassung, die Anstellungen in freier Praxis bzw. Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) nahmen ausgehend von 7 % in 2006 auf ca. 23 % in 2020 zu. Der Aspekt Teilzeit gibt dabei einen möglichen Ausblick auf zukünftige Strukturen: Die Teilzeit nimmt, selbst bei den Männern, zu, aber der Zuwachs bei den Frauen ist überproportional.

Da ich nun in Personalunion niedergelassene Rheumatologin und Vorsitzende des Berufsverbandes Deutscher Rheumatologen (BDRh) bin, stelle ich einmal ein Pro und Kontra mit dem Vergleich der Niederlassung zur Anstellung gegenüber. Ich möchte aber an dieser Stelle schon aus meiner eigenen Erfahrung sagen: Der Weg in die Niederlassung ist vielleicht etwas steiniger, aber ich möchte mein Ärztinnendasein in meiner rheumatologischen Praxis nicht mehr tauschen!

Zur Niederlassung, beginnend mit dem Kontra

  • Wir Ärztinnen und Ärzte sind nicht für diese Art „Freiberuf“ ausgebildet
  • Sie müssen plötzlich eine eigene Praxis organisieren
  • Sie müssen sich mit Problemen auseinandersetzen, die sie vorher nicht kannten
  • Sie haben neue Tools, wie die Digitalisierung zu bewältigen
  • Sie müssen sich betriebswirtschaftliche Kenntnisse aneignen
  • Sie müssen die Praxisstruktur an neue administrative Anforderungen anpassen, die ich im Einzelnen hier nicht aufzählen möchte
  • Das insgesamt bedeutet ein erhebliches Zeitinvestment
  • Sie haben Personalverantwortung, was in der Klinik von anderen Abteilungen erledigt wird, müssen sie selbst erledigen.

Nun zum Pro

  • Als niedergelassene Ärztin haben Sie einen deutlich größeren Gestaltungsspielraum, und dieser betrifft viele Bereiche einer Praxis, ob in der Praxisorganisation oder in den Arbeitsabläufen; sie gestalten Raum und Zeit nach Ihren Vorstellungen, kein „von oben“ Bestimmendes. Nur, wir trauen uns manchmal nicht. Niedergelassen zu sein gibt einem wirklich eine riesige Befriedigung:
  • Wir können unsere Arbeitszeit selbst bestimmen, auch spontan frei nehmen, wenn es dringend erforderlich ist
  • Die Digitalisierung erlaubt uns, z. B. Arztbriefe zu Hause zu schreiben, die Praxis haben wir mit dem Laptop quasi immer in der Tasche. Sie arbeiten auch bei nicht-physischer Anwesenheit in der Praxis immer mit dem Team in und für die Praxis
  • Und das Entscheidende, der wirtschaftliche Gewinn ist deutlich höher!
  • Zur Abgrenzung in Hinblick auf das Angestelltendasein: in der Niederlassung lassen sich für Ärztinnen bessere Honorare erwirtschaften.

Aus einer fachfremden Befragung in der Onkologie über karrierefördernde Faktoren zeigen die Zahlen, dass für Ärztinnen emotionale Unterstützung, die anteilige Übernahme von Hausarbeit und die anteilige Übernahme von Kinderbetreuung klar primäre Entscheidungskriterien darstellen.

Wie ist nun die Chancengleichheit in der Niederlassung zu sehen?

Grundsätzlich stellt sich der Weg in die Niederlassung für Ärztinnen und Ärzte ähnlich dar. Aber:

  • Die Frauen sind immer noch stärker in den Familienalltag eingebunden
  • Die Unterstützung der Familie wird als wichtig erachtet, bei Männern selbstverständlicher als bei Frauen. Eine immer noch bestehende Rolle!
  • Die Kinderbetreuung muss ganztags gesichert werden, was gesellschaftliche Akzeptanz und Veränderungen erfordert. Nach meiner Ansicht geht die gesellschaftliche Diskussion hier in die falsche Richtung
  • Wir Frauen brauchen mehr Selbstvertrauen. Rollenverhalten und Erziehung, die Sozialisierung, sie müssen ebenfalls in den Fokus.

Ein Wort noch zu den Rahmenbedingungen: Sie sind durch eine höhere Flexibilisierung deutlich besser geworden. Hier einige Beispiele:

  • Versorgungsaufträge lassen sich temporär halbieren
  • Entlastungsassistentinnen/-assistenten können wir einstellen
  • Man kann sich nach der Geburt eines Kindes vom Bereitschaftsdienst befreien lassen
  • Es gibt Job-Sharing Modelle
  • Praxisformen lassen sich individuell gestalten wie Praxis-, Gemeinschaftspraxis oder überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft (ÜBAG)
  • Eine individuelle Arbeitszeitgestaltung ist machbar.

Ein interessantes Ergebnis wurde in einer Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) (Bd. 19, 2022*) veröffentlicht. Untersucht wurde die Lokalisation der Zufriedenheit mit der Karriereentwicklung für verschiedene berufliche Positionen: Die Selbstständigkeit wurde nur noch getoppt von der Position Chefärztin/Chefarzt und Klinikleitung, und diese sind wirklich rar gesät!

Mein Resümee

  • Ärztinnen lassen sich – was ich bedaure, aber gegenwärtig noch nachvollziehbar ist – häufiger in Teilzeit beschäftigen
  • Die Folge: geringeres Einkommen und geringere Rente
  • In der Niederlassung können die Arbeitsrahmenbedingungen selbst aktiv gestaltet werden, mehr als man es hinlänglich denkt
  • Eigenmotivation und Unterstützung durch die Familie spielen eine bedeutende Rolle, hier besteht Handlungsbedarf
  • Die strukturellen Rahmenbedingungen (z. B. KV-Unterstützung) haben sich positiv entwickelt und lassen individuelle Arbeitsmodelle zu
  • Zu arbeiten haben wir an einem grundsätzlichen gesellschaftlichen Problem, und zwar an einer ganztägigen Kinderbetreuung mit respektvollem Umgang gegenüber den berufsausübenden Müttern.

Mein Fazit

Die Umsetzbarkeit der Chancengleichheit in der Niederlassung ist abhängig von persönlichen Faktoren wie Eigenschaft, Persönlichkeit, persönlich-familiärer Background und Sozialisation sowie natürlich von den allgemeinen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen.

Was ist zu tun?

Empfehlen kann ich aus eigener Erfahrung: Grundsätzlich möge jede Ärztin oder angehende Ärztin selbstreflektorisch für sich analysieren „was traue ich mir zu?“, von Beginn an mit der Familie den Plan einer möglichen Niederlassung besprechen und diskutieren. Weiterführende Informationen sammeln, die helfen:

  • „Wissenslücken“ zu schließen, was durch Hospitieren oder durch Mentorieren bei einer Rheumatologin oder einem Rheumatologen helfen kann. Wichtig ist, dass hierdurch Vorurteile, die ich häufig höre, wie ‚da gibt’s kein Labor‘, abgebaut werden können
  • Nutzen Sie bestehende Netzwerke, zum Beispiel den BDRh, den kann ich Ihnen als Vorsitzende natürlich ans Herz legen!
  • Stellen Sie sich die Frage, ist ein Ortswechsel möglich, wie ist die Situation vor Ort, vielleicht ist ein Randgebiet einer Großstadt auch attraktiv
  • Wagen Sie einen Blick in die Betriebswirtschaft durch Kurse oder sprechen Sie mit Ihrem Steuerberater, damit Sie sich auf diesem Gebiet sicherer fühlen
  • Wie ich erwähnte, gibt es unterschiedliche Praxisformen. Treffen Sie eine Entscheidung für eine dieser, wobei Veränderungen in der Niederlassung immer noch möglich sind.

Zum Schluss

Es gibt nichts, was Frauen nicht können! Die Frau wächst mit Ihren Aufgaben!

Dr. Silke Zinke
Vorsitzende des BDRh

*https://www.dgho.de/publikationen/schriftenreihen/frauenfoerderung/band-5